Zeitschrift für Germanistik und Gegenwart
Andreas Basch,
Konstanze Fliedl,
Barbara Tumfart und
Silvia Waltl
Genese eines Skandals
Thomas Bernhards Heldenplatz in einer historisch-kritischen digitalen EditionLizenz:
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Wiener Digitale Revue 5 (2024)
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Top of pageDen bislang größten Theaterskandal der Zweiten Republik löste 1988 ein Drama Thomas Bernhards aus: Heldenplatz wurde zu einem Exempel nicht nur der literarischen, sondern auch der politischen und gesellschaftlichen Geschichte Österreichs. In diesem Jahr 1988 jährte sich das hundertjährige Bestehen des Burgtheatergebäudes an der Ringstraße; Burgtheaterdirektor Claus Peymann hatte Bernhard den Auftrag für ein Stück gegeben, das anlässlich des Jubiläums aufgeführt werden sollte. 1988 war aber auch das ‚Bedenkjahr‘ der fünfzigsten Wiederkehr des sogenannten ‚Anschlusses‘ Österreichs an das Dritte Reich. Bernhard wählte seine Ausgangssituation dementsprechend: Professor Josef Schuster, aus der Emigration zurückgekehrt, hat sich aufgrund der wiedererstarkten NS-Ideologie umgebracht.
Der Text sollte bis zur Uraufführung geheim gehalten werden; aufgrund einer bis heute nicht geklärten Indiskretion wurde er aber noch während der Proben verschiedenen Zeitungsredaktionen zugespielt. Die Veröffentlichungen – „6,5 Millionen Debile“, titelte die Kronen Zeitung1 – führten zu vehementen Protesten des Bundespräsidenten Kurt Waldheim, des Altkanzlers Bruno Kreisky (SPÖ) und des Vizekanzlers Alois Mock (ÖVP): Es sei unzulässig, Bernhards Österreichbeschimpfungen noch durch Steuergelder zu subventionieren. Bis zur Premiere am 4. November 1988 wurde darüber spekuliert, ob Bernhard den Text ent- oder verschärft haben könnte.
Diese Fragen beantwortet nun die neue digitale Edition des Stückes an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie dokumentiert erstmals die im Nachlass überlieferten Entstehungsstufen (Typoskripte und Druckfahnen mit handschriftlichen Korrekturen) als Faksimiles mit entsprechender Entzifferung. Aus diesen Textträgern geht nicht nur hervor, wie Bernhards Ideen in den typischen thematischen und syntaktischen Schleifen entwickelt wurden, sondern auch, dass er auf die Skandalisierung seines Dramas im Grunde nicht reagierte: Spätere Texteingriffe haben nichts mit seiner Österreich-Polemik zu tun.
Die in der Abteilung für Literatur- und Textwissenschaft am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW erstellte Ausgabe präsentiert die Digitalisate der betreffenden Überlieferungsträger mit Transkription. Die Texte wurden auf Grundlage des neuesten TEI Standards im XML-Format annotiert, wobei großer Wert auf eine möglichst akkurate Transkription der vielfältigen und komplexen Eingriffe Bernhards in die unterschiedlichen Textstufen gelegt wurde.
Die Edition ermöglicht zudem eine Volltextsuche in allen Textstufen; außerdem bieten ein Stellenkommentar und Register zu Personen, Orten, Ereignissen, Institutionen und Werken zusätzliche Informationen zum Inhalt.
Um dem zeitgeschichtlichen Kontext des Dramas und seiner Uraufführung gerecht zu werden, wird neben der Entstehung aber auch die Rezeption des Textes ausführlich dargestellt; die zahlreichen und kontroversen Presseartikel werden in zeitlicher Abfolge bibliographisch erfasst und in einer interaktiven durchsuchbaren Timeline visualisiert.
Damit sind neue Zugänge zum Text und zu seiner Wirkung gewonnen; das Drama kann so nicht nur als Schlüsseltext österreichischer Literarhistorie, sondern auch als Dokument österreichischer Politik- und Gesellschaftsgeschichte gelesen werden.
Herausgeberteam: Andreas Basch, Konstanze Fliedl, Barbara Tumfart, Silvia Waltl
Link zur Edition.
Literaturverzeichnis
Top of page- Neue Kronen Zeitung, 07.10.1988
Anmerkungen
Top of page„,Österreich, 6,5 Millionen Debile!‘. Bernhards Skandalstück Heldenplatz: Die Krone veröffentlicht erstmals Teile des Textes.“ (Neue Kronen Zeitung, 07.10.1988).
BackAbbildungen
Top of pageTitel | Faksimile mit Eingriffen des Autors (Druckfahnen Lauf 1, S. 54). |
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URL | media/wdr05_03-01_Abb_01.jpg |
Titel | Faksimile mit Transkription (Druckfahnen Lauf 1, S. 74). |
URL | media/wdr05_03-01_Abb_02.jpg |
Titel | Kommentareintrag (Typoskript 1, S. 13). |
URL | media/wdr05_03-01_Abb_03.jpg |
Titel | Zeitleiste der Medienrezeption vor und nach der Premiere von Heldenplatz (Burgtheater, Wien, 04.11.1988) mit durchsuchbaren Parametern. |
URL | media/wdr05_03-01_Abb_04.jpg |