
Zeitschrift für Germanistik und Gegenwart
Imelda Rohrbacher
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Wiener Digitale Revue 6 (2025)
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Top of pageAuch hoch kanonisierte Zeitschriften sind nicht immer gut bekannt. Eine Porträtskizze der Schaubühne soll daher auf die historische Rolle dieser Zeitschrift, der Bericht auf die Erstellung ihrer digitalen Edition verweisen.
Siegfried Jacobsohn, 1881 geboren, zählte zu den bekanntesten Kritikern Berlins, als er mit 24 Jahren sein eigenes Journal gründete. Zur Schaubühne wird fast immer in einem Atemzug ihr späterer Titel genannt, selbst die Gedenktafel für Jacobsohn bezeichnet ihn als Gründer der „unabhängigen Wochenschrift“ Die Weltbühne, da das Blatt besonders nach dem Ersten Weltkrieg zu einem der zentralen politischen Foren der Weimarer Republik wurde und als solches stärker im kollektiven Gedächtnis verankert ist als die ursprüngliche Theaterzeitschrift. Allem voran steht die Weltbühne für die Aufdeckung der berüchtigten ‚Fememorde‘ und der Remilitarisierung Deutschlands in den 1920er-Jahren. Zu betonen ist dabei aber, dass die Prinzipien der demokratischen Ausrichtung und gesellschaftlichen Diskussion, die zur Titeländerung führten, die Zeitschrift von Anfang an prägten; zu erinnern daran, wie groß die Rolle des Theaters als kulturelle Institution und als Institution geteilter Öffentlichkeit im Umbruch von Monarchie zu Demokratie war. Nachdrücklich ist aber auch deswegen auf Jacobsohn als Initiator zu verweisen, weil, wie Stefanie Oswalt (2000: 11) herausstellt, sein Wirken als streitbarer Kritiker zwar noch bekannt ist, seine Rolle als literarischer Mentor und sein intensives Engagement als Berater, eigentlich Ausbildner für Autoren aber weitgehend vergessen sind. In ein Schlagwort gefasst bedeutet das: Ohne Jacobsohn kein Polgar, kein Bab, kein Willi Handl, vor allem kein Kurt Tucholsky. Die Funktion der Zeitschriftengründer als Anker von Netzwerken wird besonders für die Moderne oft betont – dass gerade Jacobsohn unter ihren prägenden Herausgebergestalten selten genannt wird, schreibt Oswalt neben anderem der unbedingten Detailarbeit und Hingabe ans didaktische Wirken des „Workaholic mit einer fanatischen Liebe zum Theater“ (ebd.) zu. Tucholsky zählte zu den Kern- und Lieblingsautoren und erfuhr allzeit aktivste Betreuung von Jacobsohn, an den er 1930 erinnert: „Er hat von der ersten Nummer bis zum letzten Novemberheft des Jahres 1926 alles allein gemacht – keine Krankheit, keine Reise, keine Ungunst der Stunde haben ihn jemals veranlassen können, die Redaktion auch nur für eine einzige Woche abzugeben.“ (Tucholsky 1930: 373)
Die Eckdaten zur Schaubühne können so umrissen werden: Sie erschien ab September 1905 als Wochenschrift in Berlin und wurde bis März 1918 unter diesem Titel geführt. Schon vor dem Krieg beginnt Jacobsohn, die Ausrichtung zu verändern, bezieht zunehmend politische und ökonomische Themen und gesellschaftliche Fragen ein und ändert schließlich im April 1918 den Titel zu Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik – Kunst – Wirtschaft. 1926 stirbt Jacobsohn, als Herausgeber firmiert nun zuerst interimsmäßig Kurt Tucholsky, der seit 1913 engster Mitarbeiter war; 1927 überträgt Jacobsohns Frau Edith Jacobsohn Herausgeberschaft und Chefredaktion Carl von Ossietzky, der die Weltbühne politisch stark prägt. 1933 wird die Zeitschrift von den Nationalsozialisten verboten, Ossietzky verhaftet. Die Ausreise zur Verleihung des Friedensnobelpreises für 1935 wird ihm verweigert. Er stirbt 1938 an den Folgen der Folter wie der Bedingungen der KZ-Haft.
Die Schaubühne gehörte während ihres Erscheinungszeitraums nicht zu den auflagenstärksten Journalen (vgl. Nickel 1996: 7)1: Laut eigenem Werbeblatt startete sie mit 40.000 Exemplaren, die Auflage war aber sehr viel niedriger. Belegbar sind nach Nickel die Auflagenzahlen von 1200 Stück für 1916 und 4000 für 1917. Nach oben gehen die Zahlen also mit und nach dem Krieg; für die Weltbühne nannte Jacobsohn für das Jahr 1924 zwischen 5500 und 10.000 und für 1926 die Zahl von 13.000 Stück als Auflage.
Umso wichtiger erscheint daher die Mehrfachfunktion: Die Schaubühne war Theater- und Literaturzeitschrift, in der Beiträge von über tausend Autorinnen und Autoren erschienen, sowohl belletristische als auch kritisch-essayistische. Es wurden also, vor allem zur Präsentation der Werke einer neuen Autorengeneration, literarische Beiträge und Originalbeiträge veröffentlicht, dazu eine große Bandbreite reflektierender Texte. Zentral sind die (Teil-)Abdrucke neuer Dramen, Prosa und Lyrik sind aber ebenso präsent. Zu den Originalbeiträgen gehören auch zahlreiche Texte, die unter Pseudonym erschienen sind. Kommentiert werden neben Theater, Musiktheater, Schauspielkunst und Literatur auch die Bildenden Künste und der Film. Darüber hinaus lassen sich Zeit- und gesellschaftliche Diskurse zu Themen wie Bildung und Emanzipation, soziale Teilhabe, Arbeits- und Lebenswelt, Chauvinismus, Antisemitismus und Nationalismus verfolgen.
Die Schaubühne war zudem Fachblatt für alle Belange des Theaters, zu denen in differenzierten Rubriken informiert wurde. Sie stellen heute einen Fundus an historischen Daten zum Theatergeschehen der Zeit dar, von Aufführungsdaten bis zu rechtlichen Informationen und Zensurmeldungen.
Eine Auswahl an Namen sei stellvertretend genannt. Zu den Essayistinnen und Kritikern zählen außer Jacobsohn selbst Julius Bab, Willi Handl, Lou Andreas-Salomé, Alfred Polgar, Herbert Ihering, Ferdinand Hardekopf, Frank Freund, Herbert Eulenberg, Georg Brandes, Egon Friedell, Doris Wittner, Harry Kahn, Arthur Sakheim, René Schickele, Kurt Tucholsky, Hermann Sinsheimer, Oskar Maurus Fontana, Sil Vara, Herman Bang, Robert Walser, August Strindberg – viele Autoren reflektierender Beiträge waren selbst Schriftsteller.
Literarische Beiträge erschienen u.v.a. von Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr, Detlev von Liliencron, Scholem Alejchem, Richard Beer-Hofmann, Lion Feuchtwanger, Björnstjerne Björnson, Christian Morgenstern, Peter Altenberg, Alfred Polgar, Walter Hasenclever, Frank Wedekind, Hans Natonek, Robert Walser, Else Lasker-Schüler, Max Brod, Klabund, Berthold Viertel, Hedwig Dohm, Felix Salten, Hans Carossa, Stefan Großmann, Albert Ehrenstein, Max Mell, Anna Lesznai, Roda Roda, Ernst Lissauer, Arnold Zweig, Stefan Zweig, Franz Werfel, Annette Kolb, Georg Heym, Franz Blei, Robert Müller, Berta Lask, Paul Zech. Dazu gab es Abdrucke von Texten v.a. der klassischen deutschen Literatur wie der des 19. Jahrhunderts; die Auswahl ist aber international und kosmopolitisch motiviert.
Als Forum der Kunst der Zeit, das zum Forum der Politik wird, ist die Schaubühne selbst Dokument intellektueller Diskursentwicklung der Epoche vor und im Ersten Weltkrieg.
Grundlagen der Edition und Projektfragen
Die Herausforderung der digitalen Edition bestand wesentlich in der großen Menge des Materials und Texts. Die Schaubühne ist in Heftform erschienen und umfasst 643 Nummern mit einem Umfang von ca. 25–30 Seiten pro Heft. Schon ab 1906 erfolgte die Herausgabe der Zeitschrift auch in Halbjahresbänden durch den Berliner Verlag Oesterheld & Co., diese Ausgabe umfasst 26 Halbjahresbände mit einem durchschnittlichen Umfang von je 650 Seiten. Die Bände sind zudem nach Jahrgängen zusammengefasst, sodass vierzehn Bände die Ausgabe bilden. 1979/80 erfolgte ein Nachdruck dieser Ausgabe. In Summe mit den Registern beträgt die Seitenzahl über 17.000, die Wortanzahl ca. 2,5 Mio. Wörter. Der Satz ist eher schmucklos und in den frühen Jahrgängen und im Krieg teils sehr gedrängt.
Als textzentriertes Organ war die Schaubühne keine Zeitschrift mit aufwändiger graphischer Gestaltung und enthielt im Heftkörper nur sehr wenige Abbildungen und keinen Farbdruck (vgl. Abb. 2). Die Hefte des (kurzen) ersten Jahrgangs sind unterteilt in mehrere Beiträge (jeweils bis zu ca. zehn Seiten, Kritiken, Essays, Berichte, Abhandlungen), schon ab dem zweiten Jahr (1906) sind die Hefte aber zweigeteilt: Einige reflektierende Beiträge und regelmäßige (Teil-)Abdrucke von Stücken und anderen literarischen Texten bilden ab diesem Zeitpunkt den größer gesetzten Hauptteil, die Sparte „Rundschau“ mit miszellenartigen, kleiner gesetzten Beiträgen im Zweispaltensatz bildet den zweiten Heftteil. Ab Herbst 1906 beginnt im Hauptteil zudem die Satire-Serie „Kasperle-Theater“ zu erscheinen. Die „Rundschau“ bildete jeweils den Heftabschluss, bis ab dem dritten Jahrgang ein dritter Teil die Hefte ergänzte, zu Beginn nur als kleine Zusatzliste mit Angaben zu aktuellen Uraufführungen am Ende der „Rundschau“, sehr bald aber in Form der zunehmend ausdifferenzierten Sparte „Aus der Praxis“ mit verschiedenen Unterrubriken, fast alle davon ebenfalls im kleineren Druck der „Rundschau“. Hier werden u.a. detaillierte Regiepläne von Aufführungen abgedruckt, die oft Skizzen des Bühnenarrangements enthalten, auch diese aber im Schwarzdruck und möglichst platzsparend. Zwischen die Hauptbeiträge und die Rubrikenteile wurden jeweils graphische Trennelemente gesetzt, teils in Form von Mini-Vignetten, die aber bald durch Trennbalken in verschiedener Stärke ersetzt wurden. Ab den Kriegsjahren wird die Typographie noch schlichter, auch der übergroß gesetzte Hefttitel entfällt nun ganz, „Rundschau“ und „Aus der Praxis“ sind durch „Antworten“ des Herausgebers ersetzt. Den Frakturdruck behält die Schaubühne mit seltenen Ausnahmen bis zum zweiten Jahrgang der Weltbühne (1919) bei, erst 1920 wird auf Antiqua umgestellt.
Das aktuelle Editionsprojekt startete 2020 als Projekt der von Konstanze Fliedl geleiteten Arbeitsstelle Austria Corpora and Editions (ACE) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und wurde in der von Claudia Resch geleiteten Abteilung Literatur- und Textwissenschaft am Austrian Centre for Digital Humanities – Cultural Heritage (ACDH-CH) fertiggestellt. Das Projekt wurde mit einer Vollzeitstelle ausgestattet. Für die technische Implementierung konnte Andreas Basch gewonnen werden, Angelika Hechtl erstellte Registergrundlagen. Die Edition basiert auf langjährigen Vorarbeiten mehrerer Encoderinnen am Datenmaterial der Schaubühne; zum größeren Teil lagen daher die Dateien in kohärenter Auszeichnung und hohem Korrekturgrad vor. Zur Verfügung standen Einzelseitendigitalisate des Nachdrucks der Jahresbände durch den Athenäum Verlag von 1979/80; die XML-Dateien enthielten strukturelle, formale und teils semantische Auszeichnung in dem an Vorgängerinstituten entwickelten Mark-up. Als wichtiges Merkmal enthält dieser Auszeichnungsstandard eine Reihe von Elementen, die sowohl paarig als auch nicht paarig, also als empty tags, gesetzt werden können, um maximale Flexibilität des Taggings und die Validität des XML auch über Grenzen der Einzelseiten hinweg zu gewährleisten.
Erster großer Schritt war daher die Transformation in TEI-P5, um die bestehende Annotation internationalen Standards anzupassen. Es mussten also zum einen die Einzelseiten (pro Heftumfang) zusammengeführt und zum anderen für über fünfzig Auszeichnungselemente, teils mit mehreren verschiedenen Attributwerten und Attributwert-Kombinationen, die jeweiligen Äquivalente für die Überführung in TEI festgelegt und Lösungen für alle nicht-direkten Entsprechungen von Elementen und Element-Attribut-Kombinationen gefunden werden.
Ziel dieses Mappings und der Transformation war dabei, möglichst alle Auszeichnungselemente zu erhalten, um alle der Textedition dienlichen Elemente wie Strukturannotation und Fehlerauszeichnung zu transportieren; außerdem aber, damit das Transformationsszenario, das anhand der Schaubühne entwickelt wurde, auch für andere Dokumente genutzt werden kann. Das Schaubühne-Projekt diente daher auch der Schemaentwicklung und dem Erfahrungsaufbau für weitere Vorhaben, die ältere, bereits vorhandene Bestände des Instituts zur Grundlage haben. Derzeit erstellen Barbara Tumfart und Silva Waltl im Rahmen des Zeitungen- und Zeitschriften-Schwerpunkts der Abteilung für Literatur- und Textwissenschaft am ACDH-CH die digitale Edition der Zeitschrift Die Insel, die diese Annotationen und Konvertierungsprozesse ebenfalls nützt, anders als die Schaubühne aber etwa Äquivalente oder Neu-Modellierung für die komplexere graphische Gestaltung entwickeln muss.
Herausforderungen der Übertragung der Schaubühne in TEI-P5 bestanden auf allen Ebenen, bei der strukturellen Auszeichnung etwa in der Überführung des Spaltensatzes der genannten Sparten der „Rundschau“ und „Aus der Praxis“, die in der früheren Version dasselbe Tagging hatten wie tabellarische Listungen oder Werbeanzeigen (TABLE, insgesamt über 3000 Einheiten). Diese Heftteile und Textelemente mussten daher voneinander geschieden und zum Teil in Tranchen transformiert werden, um valides TEI zu erzielen; ähnlich bei der Zusammenführung von Seiten, auf denen im Spaltensatz Texte einander vergleichend gegenübergestellt sind, sodass die Paragraphenabfolge innerhalb der beiden Spalten nicht wie im normalen Fließtext dem Prinzip der Seitenanordnung folgt, sondern parallel verlaufende Paragraphen über mehrere Seiten gesetzt sind (Abb. 3).
Aufwand ergab sich auch bei Elementen des Taggings der Stückabdrucke, die aufgrund ihrer strukturellen Komplexität in TEI größtenteils zu ergänzen oder in umfassender Weise zu korrigieren waren, insbesondere etwa bei über den Seitenumbruch gehenden Figurenreden und bei Dramen gemischter Form, in deren Figurenreden sowohl gebundene als auch nicht gebundene Rede vorkommt.
Zu leisten waren also Korrektur-, Ergänzungs- und Vereinheitlichungsgänge für die bei Projektbeginn bestehende Annotation, sowie die Nachbearbeitungsgänge, die die Transformation überall dort erforderte, wo nicht oder nur teilweise automatisch übertragen werden konnte. Grund dafür war auch ein unterschiedlicher Annotationsstand innerhalb der Datenstrecke. Für einen erheblichen Teil des Gesamtkorpus (fünf von vierzehn Jahresbänden) musste der für die Textedition relevante Auszeichnungs- und Korrekturstand an den schon zweifach bearbeiteten Teil (den größeren Teil: neun der vierzehn Jahresbände) angepasst werden. Das betraf etwa die Nachbearbeitung der Annotation der Titelauszeichnung für acht Halbjahresbände (bei Beitragslängen von meist wenigen Seiten oder Spalten und einer großen Zahl an Rubrikentiteln); aber auch Zeichenkorrekturen fehlerhaft eingelesener Anführungszeichen über vierstellige Seitenstrecken. Besonderes Augenmerk erforderte beispielsweise auch Peter Altenbergs Satzzeichenliebe (?!?, !?!, – – – ). Die größte Herausforderung für die manuelle Nachbearbeitung bestand in der Setzung der Textabschnitte (text divisions) innerhalb der Hefte für alle vierzehn Bände, da nur jene Textabschnittsmarker übertragen werden konnten, die in der Vorgängermarkierung schon paarig gesetzt worden waren; wie skizziert, gab es damals auch die Möglichkeit, nicht paarige Marker zu setzen.
Obwohl also nicht alle Elemente der Schaubühne-Modellierung problemlos in TEI übertragen werden konnten, überwog insgesamt der Vorteil der Auszeichnungsdichte vor allem für Struktur und Typographie, und es wurden auch alle inhaltlichen Annotationen und Named-Entity-Einheiten wie Verfasser- oder Übersetzereintrag, Daten und fremdsprachliche Ausdrücke/Textteile transportiert, auch, um diese für geplante Ausbaustufen der nun vorliegenden digitalen Edition nützen zu können.
Fokus choicecorr cert="high"
Wichtiges Qualitätsmerkmal der Schaubühne-Edition ist die Fehlerauszeichnung, deren Bearbeitung in der TEI-Transformation näher beleuchtet werden kann, da auch hier ins Gewicht fallende Unterschiede in der Rubrizierung und Elementzahl zwischen bei Projektbeginn bestehendem Markup und TEI bestanden. Dies sei kurz erläutert, weil bei historischen Zeitschriften mit literarischen wie nicht-literarischen Texten mehrere Aspekte der Fehlerauszeichnung zu berücksichtigen sind, die für andere Projekte und für Korpora relevant sein können.
Die bei Projektbeginn bestehende Schaubühne-Auszeichnung enthielt zum einen gängige Einheiten wie jene für offensichtlichen Fehldruck (Mutze statt Mütze, Bat statt Rat, ERR), fehlende Buchstaben und Satzzeichen (ADD) oder unsichere Lesart aufgrund von Druckverderb; jeweils auch mit Kennung von Zweifelsfällen (wie SIC oder: „Drum starb er auch pflichttreu, in den DOUBTSiehlen/DOUBT.“). Die Kategorie der als eindeutig getaggten Druckfehler war von hoher Kohärenz und musste zwar gesichtet und teils um Attributwerte ergänzt werden, konnte aber weitgehend problemlos in TEI übertragen werden (gewählt wurden choice mit Angabe des Fehldrucks und der Gewissheit der Korrektur „cert=high/low“: choicecorr cert="high"Messchaert/corrsicMeschaert/sic (wobei "low" durch Nachrecherche ausgeschlossen wurde), supplied für sichere Ergänzungen (häufig) und gap (selten) für nicht lesbaren, gänzlichen Druckverderb). Da nicht alle Dateien dieselben Überarbeitungsstufen erfahren hatten, gab es aber eine Reihe zu prüfender Zweifelsfälle, und daneben auch weiter differenzierte Einheiten (z.B. über Varianten der Einheit SPAN), die etwa Fliegenköpfe, aber auch abweichende Schreibungen (z.B. bei veraltendem oder veraltetem Wortschatz) und zudem fragliche Fälle von Ad-hoc-Prägungen oder Wortspielen abdeckten. Auch diese Kategorien enthielten also Zweifelsfälle oder wurden zur Überprüfung festgehalten, die im ersten workflow nicht möglich war, vor allem bei älterem Wortschatz. In allen Kategorien gab es also vorsorglich festgehaltene Entitäten, bei denen zu sichten war, ob sie Fehler oder nicht mehr geläufige Schreibweisen („Der Widerspänstigen Zähmung“, gieb = gib) oder zeitgenössisch zulässige Varianten darstellten, die auch nach der Orthographischen Konferenz von 1901 in einiger Vielfalt möglich waren.
Andere Facetten sind noch spezifischer und bedeuten ebenfalls relevanten Recherche- und Abgleichsaufwand für die Auszeichnung: Die Großzahl der Beiträge in der Schaubühne sind Originalbeiträge, die für die jeweilige Ausgabe verfasst wurden, es gibt aber auch Abdrucke von älteren Texten, wie etwa die Briefe der Demoiselle Ackermann, einer Schauspielerin des 18. Jahrhunderts, bei denen der historische Wortstand beibehalten wurde. Es sind also diachrone Orthografie- und Wortschatzvarianten zu beachten; relevant für die Schaubühne sind aber zudem Fragen der individuellen Stilwahl, da sie zu den wichtigsten Kriterien bei der Auswahl der Beiträger und Beiträgerinnen zählten. Jacobsohn legte höchsten Wert auf sprachliche Originalität und, untrennbar damit verbunden, darauf, Autorinnen und Autoren zu gewinnen, die Persönlichkeiten im Sinn starker individueller Fähigkeiten und Aussage waren. Das musste nicht bedeuten, dass sie schon bekannte Größen im literarischen oder kulturellen Feld waren, aber sie mussten für ihn das Potenzial dazu haben und die Anforderung herausragender Qualität erfüllen. Die Namhaftigkeit der Beiträgerinnen spielte natürlich eine Rolle vor allem für die Etablierung der Neugründung; Jacobsohn kontrollierte aber auch jeden einzelnen Text nicht nur im üblichen redaktionellen Sinn, sondern etablierte Stil und hohes sprachliches Können der Autoren als zentrale Qualitätsmarke der Schaubühne, an der er wie eingangs skizziert auch selbst unermüdlich arbeitete, indem er besondere Begabungen durch Training und Beratung förderte (vgl. Eggebrecht 1991: xii). Wortvariation, Witz, Korrektheit, treffsichere (und selbstbewusste) Sprachbeherrschung waren also das Ziel und im Übrigen ebenso wichtiger selling point für die Zeitschrift wie Prominenz oder standing der Autoren.
Diese sollten sich daher auch erkennbar im sprachlichen Stil unterscheiden, es ging um Stimmenvariation. Texte von Robert Walser etwa ragen in diesem Sinn besonders heraus und waren für die Leserinnen bald erkennbar – für die Schreibung bedeutet das, dass auch sie Marke sein konnte. Jacobsohns eigene Texte sind etwa an der Schreibvariante „wol“ zu erkennen, die neben „wohl“ möglich, wenn auch inzwischen weit weniger häufig war. (Ob die persönliche Note bewusst altertümelnd sein sollte, entzieht sich der Beurteilung durch die Verf.in.) Als Herausgeber zeichnete Jacobsohn seine Texte im Kontext der Schaubühne anfangs hauptsächlich mit der Kennung „S. J.“ (unter der er als Kritiker bekannt war), bald schon aber nicht mehr, sodass deutlich war, dass ein namentlich nicht gezeichneter Text in der Reihe der Beiträge seine Stimme war; ein subtiler, aber effizienter Hinweis auf die skizzierte Rolle im Sinn einer alles überblickenden Instanz der Zeitschrift, an der Jacobsohn auch festhielt. – Eine individuelle Wahl wie die von „wol“ statt „wohl“ kann also im Zeitkontext eine Kennung sein, die auf einen bestimmten Verfasser im Kompendium vieler Schreiber weist und stellt solcherart eine individuelle Norm dar, die man kennen muss, um den Einzelfall zu beurteilen.
Zu den Herausforderungen der Epoche und jenen der verschiedenen Textsorten in Zeitschriften zählen die ebenfalls Veränderungen unterliegenden Schreibweisen von Fremd- oder Lehnwörtern, die auch nach 1901 verschiedene Arten von Variationen aufweisen. Das lange „ie“ der Endung „-ieren“ (fetieren = feiern) kann abwechseln mit der im 19. Jahrhundert möglichen Schreibweise mit kurzem „i“ (fetiren; enerviren, exiliren). Verbreitet, aber auch schon durchmischt mit neuerer Schreibung, sind die noch ans Lateinische angelehnten Schreibungen (Execution, exclusiv neben Exekution, exklusiv); bei Fremdwörtern konnten hier mehrere Varianten gültig sein, weil die Orthographische Konferenz noch keine bindende Vereinheitlichung gesetzt hatte. Der bildungssprachliche Wortschatz des 19. Jahrhunderts ist überdies insgesamt differenziert, in Zeitschriften begegnen daher oft Ausdrücke, die nicht leicht in den ansonsten unentbehrlichen dwds-Korpora und bekanntlich auch nicht im Deutschen Wörterbuch (Grimm), sondern nur in zeitgenössischen Nachschlagewerken zu finden sind (Bsp. endettiert = verschuldet).2 Hoch kann auch der fremdsprachliche Anteil an Wörtern, Wendungen oder Textteilen sein, meist besonders aus dem Französischen; dies gilt auch und besonders für die Bühne, auf der die Orientierung am Französischen als kulturelle Norm und Sprachnorm der Eleganz deutlich zu sehen ist. Unter den fremdsprachlichen Anteilen dominiert daher in der Schaubühne das Französische, gefolgt von Latein, Englisch und Italienisch.
Alle Kategorien, die Fehlerauszeichnung enthalten konnten, mussten daher im skizzierten Szenario auf Richtigkeit überprüft und nach Notwendigkeit in der TEI-Fassung umrubriziert werden. Über 6000 Einheiten wurden solcherart für die Schaubühne kontrolliert und/oder korrigiert.
Die Namen
Angelika Hechtl hat unter Verwendung des auf wikisource verfügbaren Registers der Schaubühne/Weltbühne die Grundlage für das Autorenregister der Edition erstellt. Mit Python und der Library lxml wurden die Informationen aus dem wikisource-Register ausgelesen und in eine Tabellenstruktur übertragen. Die weitere Bearbeitung erfolgte in OpenRefine.
Da die wikisource-Liste eine Gesamtliste aller Beiträge bis zum Ende des Erscheinens der Weltbühne 1933 darstellt, umfasst diese 18.578 Listeneinträge, also die Zahl der Beiträge in Schaubühne und Weltbühne zusammen. Die Beitragsdichte der Schaubühne-Jahre zeigt sich auch an diesem Zahlenverhältnis: Über 7000 der 18.578 Beiträge sind in der Schaubühne erschienen.
Zu kontrollieren war auch hier: Die wikisource-Registereinträge stellen eine sehr verdienstvolle Arbeit dar, sind aber trotzdem in einigem Ausmaß fehlerhaft, vor allem bei den Titeleinträgen (häufige Artikelfehler); sie enthalten zudem eine kleine Zahl an wohl absichtlich gesetzten falschen Einträgen wie dem alten Opernscherz „Schreifritz“ (statt „Freischütz“) oder „Die Düse von Florenz“ statt „Die Duse in Florenz“. Alle Namens- und Titeleinträge für das Autoren- und Titelregister der Edition wurden daher anhand der Schaubühne selbst, des Registers von Joachim Bergmann von 1991 (Bergmann 1991) und weiterer einschlägiger Literatur überprüft und ergänzt.
Die 2024 erschienene digitale Edition umfasst daher die druckfehlerannotierte Textedition mit Lesefassung und Autoren- und Titelregister, das Ausbauschritte zur Differenzierung der Pseudonym-Einträge erfährt, um anonyme und pseudonyme Textanteile deutlicher zu machen; ebenso soll die stärkere Sichtbarmachung von Autorinnen gewährleistet sein. Diese Projektphase Schaubühne II sieht außerdem die Erschließung und Beforschung der in großer Zahl erschienenen literarischen Texte vor; näher zu dokumentieren sind dabei primär die dramatischen Werke. Um die Zusammensetzung des literarischen Programms der Schaubühne zu zeigen und eine genauere Sichtung ihres Charakters als Avantgarde-Journal zu erlauben, kann ihre Mehrfachstruktur als informierendes sowie präsentierendes und reflektierendes Organ genützt werden.
Nachsatz – Medium der Moderne, moderne Medien
Im Zeitschriftenbereich gewinnt jede editorische Auswahl, zumal in der Medienexplosion der Moderne, den Charakter einer richtungsweisenden Entscheidung und ist angesichts der bekannt überwältigenden Bestände an Periodika, an Zeitschriften, Journalen und Anthologien, die innerhalb der Zuwächse des 19. Jahrhunderts ab 1880 noch einmal sprunghaft ansteigen, nicht trivial. Zur inhaltlich bedingten Qual der Wahl kommt die Frage der Größenordnung des einzelnen Objekts. Der offensichtlichste Grund, warum Zeitschriftenprojekte nach wie vor mit Umsetzungsschwierigkeiten zu kämpfen haben, ist also zumeist ihr Umfang, aus gegebenem Anlass ist aber auch die Frage nach anderen Arten der Limitationen zu stellen (vgl. dazu grundlegend Frank 2016). Viel zu wenige der relevanten Periodika nicht nur der Moderne um 1900, sondern im Gesamt der deutschsprachigen Kulturgeschichte resp. der Moderne seit dem Buchdruck sind jenseits der – immerhin existierenden – Repositorien von Internet Archive bis wikisource mit ihren diversen Fehlerproblematiken in wissenschaftlicher Bearbeitungsqualität online verfügbar, obwohl der Volltextbedarf bei Zeitschriften so deutlich und drängend ist wie bei kaum einem anderen Objektbereich und aus Sicht der Erschließung von Grundlagen Periodika geradezu als Eldorado zu sehen sind, besonders auch im Hinblick darauf, dass sich der Blick für vormals vermeintlich Randständiges (Autorinnen, plurale Autorschaft, nicht-kanonisierte Textgattungen) geschärft hat und weiter schärft.
An Basismaterial für diese Erschließung, an Erhebungen, die systematische Daten zum oft schwer greifbaren Objekt Zeitschrift geben, vor allem für bestimmte Epochen, fehlt es zudem nicht. Die Philologien, und hier steht die Germanistik keinesfalls zurück, haben hervorragende Nachschlagewerke geschaffen, die der Recherche bestens erhobene Daten an die Hand geben. So liegt für die Moderne das vom DLA Marbach 1988 herausgegebene fünfbändige Verzeichnis Deutsche Literarische Zeitschriften 1880–1945 von Thomas Dietzel und Hans-Otto Hügel vor, wohlgemerkt explizit als „Repertorium“, weil das sechsköpfige Team sowohl die aufzunehmenden Titel in penibelster Auswahl- und Differenzierungsarbeit erarbeitete als auch über Erscheinungszeiträume und Bestandsangaben hinaus eine ganze Reihe beschreibender Angaben zu den einzelnen Objekten zusammentrug (vgl. auch die Erhebungen von Raabe 1964, Schlawe 1965, Wallas 1995). Diese Dokumentation sollte den allseits betonten Stellenwert des Mediums Zeitschrift für die Moderne, konkret auch den besonderen Anstieg der Titelzahlen ab 1880, belegen.
Mit dem Vergleich, den sie ermöglicht, lässt sich das Wahrnehmungsverhältnis, in dem wir zu Periodika zum einen allgemein in der Literaturwissenschaft, im Besonderen aber auch im Netzradius stehen, ganz gut verdeutlichen resp. in Erinnerung rufen. Die deutschen wikipedia-Listen zu Zeitschriften listen jeweils Titel aller Epochen, so auch jene zu „Zeitschriften (Literatur)“ und „Zeitschriften (Theater)“. Schöne Objekte sind hier verknüpft, auch geben solche Listen eine gewisse Orientierung. Dennoch: Gemeinsam verzeichnen die beiden Listen „Literatur“ und „Theater“ etwa unter dem Buchstaben Z fünfzehn Titel von der Frühen Neuzeit bis in die Moderne. Die Zahl der von Dietzel/Hügel für 1880–1945 insgesamt erhobenen Periodika beträgt 3341, von denen allein 76 auf den Buchstaben Z entfallen. Kennen Sie den Münchner Zwiestrolch?
Literaturverzeichnis
Top of page- Bergman, Joachim (1991): Die Schaubühne Die Weltbühne 1905–1933. Bibliographie und Register mit Annotationen. München/London/New York: K.G. Saur.
- Eggebrecht, Axel (1991): Siegfried Jacobsohn – Begründer der Weltbühne. Erinnerungen von Axel Eggebrecht, in: Joachim Bergmann: Die Schaubühne Die Weltbühne 1905–1933. Bibliographie und Register mit Annotationen. München/London/New York: K.G. Saur, S. xi–xvii.
- Frank, Gustav (2016): Prolegomena zu einer integralen Zeitschriftenforschung, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik XLVIII/2, S. 101–121.
- Nickel, Gunther (1996): Die Schaubühne – Die Weltbühne. Siegfried Jacobsohns Wochenschrift und ihr ästhetisches Programm. Opladen: Westdeutscher Verlag.
- Oswalt, Stefanie (2000): Siegfried Jacobsohn – Ein Leben für die Weltbühne. Eine Berliner Biografie. Berlin: Bleicher.
- Raabe, Paul (1964): Die Zeitschriften und Sammlungen des literarischen Expressionismus. Repertorium der Zeitschriften, Jahrbücher, Anthologien, Sammelwerke, Schriftenreihen und Almanache 1910-1921. Stuttgart: Metzler.
- Schlawe, Fritz (1965): Literarische Zeitschriften 1885–1910. Stuttgart: Metzler.
- Tucholsky, Kurt (1930): Fünfundzwanzig Jahre, in: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933, 26. Jahrgang 1930, II. Halbjahr (Nr. 37). Königstein/Ts.: Athenäum 1978, S. 373-382.
- Wallas, Armin A. (1995): Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie und Register, 2 Bde. München: K.G. Saur.
Anmerkungen
Top of pageDie Fülle des Fremdwortschatzes aus den alten Sprachen sowie die Bandbreite an im schriftsprachlichen und literarischen Deutsch begegnenden Ausdrücken und Formeln aus den modernen Sprachen zeigt u.a. gut „Dr. Reinhold Försters Fremdwörterbuch der deutschen Schrift- und Verkehrssprache“ von 1899.
BackAbbildungen
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| Titel | Erste Nummer der Schaubühne vom 7. September 1905 (Ausschnitt) |
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| Titel | Beispiele für Typographie und Rubriken |
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| Titel | Parallel verlaufender Spaltensatz (Bsp.) |
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| Titel | Druckfehlerauszeichnung (Bsp.) |
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| Titel | Registersuche der digitalen Edition der Schaubühne (Ausschnitt) |
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| Titel | Vorabdruck von Die Wupper von Else Lasker-Schüler (Ausschnitt), https://schaubuehne.oeaw.ac.at |
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