
Zeitschrift für Germanistik und Gegenwart
Laura Nespor
Spionage, Spannung, Satire
Gesellschaftskritische Elemente der Unterhaltungsliteratur Milo Dors und Reinhard Federmanns während des Kalten KriegesLizenz:
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Wiener Digitale Revue 7 (2025)
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Top of page1. Einleitung
„Das Leben war zu dieser Zeit so falsch und verlogen, daß man darüber nur lachen konnte““, schreibt Milo Dor im Nachwort der ersten Neuauflage von Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan ([1963] 1996: 188) und nimmt damit Bezug auf eine Zeitperiode, die tief in dem Gedächtnis der österreichischen Gesellschaft verankert ist – die Phase des Kalten Krieges. Die Literatur jener Zeit in Österreich steht im Spannungsfeld von Vergangenheitsbewältigung und der Auseinandersetzung mit einer von den neuen Machtblöcken geprägten Realität. Inmitten dieser politisch aufgeladenen Atmosphäre entstanden literarische Werke, die sich nicht nur mit den Schrecken des Zweiten Weltkrieges, sondern auch mit den Ängsten und Unsicherheiten der unmittelbaren Nachkriegszeit auseinandersetzten.
Österreich – geografisch und geopolitisch zwischen den Großmächten des Westens und der Sowjetunion angesiedelt – wurde während des Kalten Krieges häufig als ‚Spionagedrehscheibe‘ wahrgenommen. Dieses Bild prägte sowohl die gesellschaftliche Stimmung als auch das literarische Schaffen dieser Zeit. Vor allem das Genre des Kriminal- und Spionageromans bot den Autor:innen eine Möglichkeit, die gesellschaftspolitische Realität indirekt zu reflektieren (vgl. Stocker 2010a: 6–10). In einer Gesellschaft, die von den Spannungen des Ost-West-Konflikts gezeichnet war, bot die Belletristik eine Möglichkeit, kritische Themen zu verarbeiten und auf Missstände hinzuweisen, ohne diese direkt anzusprechen. Diese Möglichkeit machten sich auch Milo Dor und Reinhard Federmann zunutze und schrieben mehrere Thriller, von denen im Folgenden zwei herausgehoben werden sollen.
Der Roman Und einer folgt dem anderen, 1953 im Nürnberger Nest-Verlag erschienen, thematisiert die Verquickung von Gewalt, Korruption und Geheimdienstaktivitäten, die den Alltag vieler Menschen prägten – so auch jenen dargestellten des Hauptakteurs Alex Lutin. Die Autoren greifen hierbei reale Vorfälle oder Entführungsfälle durch die sowjetischen Besatzungstruppen auf und weben diese in eine fiktive Erzählung ein, die das Misstrauen und die Ängste der Zeit widerspiegeln. Der zweite Spionageroman, Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan, wurde 1963 in der Signum-Taschenbuch-Reihe veröffentlicht und erschien erneut 1996 im Picus-Verlag mit einem zusätzlichen Nachwort von Dor. Er erzählt die Geschichte des Journalisten Rafaeljan, der in das fiktive Land Dazien reist und dort in ein Netz aus Spionage und politischer Manipulation gerät. Durch die Überwachung und Propaganda beider politischer Lager wird die Absurdität der Machtspiele im Kalten Krieg kritisiert, wobei die Autoren Satire und Übertreibung nutzen, um die repressiven politischen Strukturen jener Zeit zu entlarven.
Beide Romane werden in Bezug auf ihre genretypischen Merkmale untersucht und es wird analysiert, wie sie die gesellschaftspolitischen Bedingungen der Nachkriegszeit literarisch reflektieren. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Frage, wie die Autoren durch die Darstellung von Spionage und Verfolgung eine tiefere Ebene gesellschaftlicher Kritik erreichen und inwieweit die Komik in diesen Werken eine Funktion als Ventil für die Ängste der Bevölkerung übernehmen konnte bzw. kann. Humor, so die These, diente in den Werken als Mittel zur Bewältigung der allgegenwärtigen Angst und Unsicherheit, die das Leben in einer von Spionage und politischer Paranoia geprägten Gesellschaft kennzeichnete (vgl. Gémes 2007). Die satirische Darstellung der politischen Verhältnisse und der Überwachungsmechanismen zeigt, wie sich die Autoren mit Hilfe von Übertreibung und Parodie gegen die erdrückende Realität wehren und diese gleichzeitig hinterfragen konnten (vgl. Maurer/Neumann-Rieser 2012). Die Wahl der Unterhaltungsliteratur und die humoristische Verarbeitung der Thematik eröffneten einen Raum, in dem Kritik geübt werden konnte, ohne die Zensur zu fürchten oder sich direkt gegen die politischen Machthaber zu stellen. Somit wird deutlich, dass Literatur auch in Zeiten der politischen Unterdrückung ein mächtiges Werkzeug der indirekten Kritik und des Widerstands sein konnte. Milo Dors eingangs angeführtes Zitat trifft diesen Sachverhalt sehr gut.
2. Nachkriegszeit in Österreich
2.1. Geheimdienste und Spionage
Nicht nur Kultfilme wie Carol Reeds Der Dritte Mann aus dem Jahr 1949, sondern auch immer wieder erscheinende Berichte über in Österreich verrichtete Spionagetätigkeiten tragen zu der klischeehaften Verkörperung der Alpenregion als „Stadt und Stätte der Agenten, Betrüger, Opportunisten und Geschäftemacher“ (Beer 2000: 73) bei. Wird die Geschichte – und nicht zuletzt die Gegenwart – nachrichtendienstlicher Tätigkeiten in Österreich eingehender betrachtet (vgl. Riegler 2022), erscheint dieses Klischee tatsächlich alles andere als unbegründet. Bekanntlich kam es mit der Besetzung Österreichs durch die vier Alliierten im Jahr 1945 zu einem Anstieg der Spionagdienste im Land. So verfügte allein die Sowjetunion über vier Geheim- und Nachrichtendienste: den militärischen Nachrichtendienst GRU, das Volkskommissariat für Inneres (NKVD), die politische Geheimpolizei des Volkskommissariats für Staatssicherheit (NKGB) und die SMERŠ, welche für die Spionageabwehr zuständig war. Daraufhin folgten die erst im Zuge des Zweiten Weltkrieges angewachsenen Organisationen der USA wie beispielsweise das Office for Strategic Services (OSS), jene der Briten sowie der Franzosen. Dementsprechend waren nach dem Zweiten Weltkrieg verhältnismäßig viele Spionageorganisationen in Österreich versammelt. Laut einer CIA-Studie aus dem Jahr 1948 trafen dabei auf 600 Mitarbeiter der amerikanischen Geheimdienste etwa 2.500 aus den russischen (vgl. Gémes 2007: 95).
Diese Ansammlung verschiedener geheimdienstlicher Organisationen, welche dem Land seine Bezeichnung als Drehscheibe von Spionagetätigkeiten verlieh, kann auf mehrere Gründe zurückgeführt werden. Der amerikanische Schriftsteller und Spezialist für US-Sicherheitspolitik James Jay Carafano hält fest, dass Österreich besonders dafür geeignet war, da das Land:
1. durch seine Lage zwischen den Blöcken zur Anlaufstelle für Ostflüchtlinge wurde,
2. durch die sowjetische Besatzung von Menschenraubfällen betroffen war, die vermeintliche oder tatsächliche Spione und Spioninnen betrafen,
3. durch die mehrfache Besatzung zum Terrain von Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Besatzungsmächte wurde und
4. die KPÖ und etwaige kommunistische Untergrundorganisationen vermeintlich eine Gefahr für den westlich-demokratischen Status Österreichs darstellten. (Zit. n. Maurer et al. 2017: 353)
War das Hauptaugenmerk der Geheimdienste zunächst auf das Auffinden von NS-Funktionären und Kriegsverbrechern gerichtet, rückte der Fokus der Westalliierten um das Jahr 1947 vermehrt auf die Sowjetunion sowie jegliche kommunistische Aktivitäten (vgl. ebd.: 353f.). Wiederholt fielen die sowjetischen Besatzungsmächte gegenüber der Bevölkerung mit drastischen Methoden auf. Gewalt, Verschleppungen und Entführungen auf offener Straße verankerten sich im Gedächtnis der Öffentlichkeit und schürten Angst bei den Einwohner:innen. Vor allem die Bezichtigung der Spionage – beziehungsweise des Verdachts auf Spionage – gegen die Sowjetunion waren Auslöser für etliche von ihnen vollzogene Verhaftungen und lassen sich letztlich auf deren Misstrauen und Furcht vor Verräter:innen der UdSSR zurückführen (vgl. Engelke 2000: 119f.).
2.2. Österreichische Literatur
In der österreichischen Nachkriegszeit war es unüblich, sich literarisch mit der jüngsten Vergangenheit oder den aktuellen Geschehnissen zu befassen. So wurden vom Großteil der österreichischen Autorenschaft weder der Nationalsozialismus und Faschismus noch die Situation des Kalten Krieges aufgegriffen. Stattdessen kam es zu einer „Dichotomisierung der österreichischen Nachkriegsliteratur“ (Maurer et al. 2017: 13f.). Demzufolge gab es eine moderne Ausrichtung, welche sich in erster Linie Sprachexperimenten widmete, sowie eine traditionelle, unzeitgemäße Ausrichtung. Aufgrund der Aktualität der Ereignisse und Vergehen wichen Autor:innen zurück in die Innerlichkeit und beschäftigten sich mit der Emotions- und Gefühlswelt, anstatt sich dem Zeitgeschichtlichem zu widmen.
Abseits dieser beiden Ausrichtungen gab es hingegen literarische Werke, die sich durchaus politischen und zeitgeschichtlichen Materien zuwandten und diese aufarbeiteten. Ebendiese Literatur, die allgemein unter die Kategorie Unterhaltungs- oder Trivialliteratur fällt, war in der Gesellschaft der Nachkriegszeit allerdings wenig angesehen beziehungsweise von unbekannten Autor:innen verfasst und genoss einen mediokren Ruf unter den literarischen Gattungen (vgl. ebd.: 14f.). Um hingegen einen vollständigen Einblick in die Zeitumstände des Kalten Krieges zu erlangen, bedarf es ebenso einer Analyse solcher Genres, welche in der Wissenschaft bis dato gemeinhin weniger Anerkennung erhielten als „Literatur mit Kunstanspruch“ (Stocker 2010a: 9f.). Es geht also um Schriften, die sich vor allem in ironischer Manier mit den Folgeerscheinungen des Zweiten Weltkrieges befassten und sich in die Diskurse der Nachkriegszeit einbetteten sowie diese auch abbildeten. In ihnen spiegeln sich die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Dynamiken jener Periode wider, in welcher sie selbst entstanden sind (vgl. Maurer et al. 2017: 17).
3. Vorstellung der beiden Romane
3.1. Inhalt
Im Zentrum des 1953 erschienenen Kriminalromans Und einer folgt dem anderen von Dor und Federmann steht der Hauptprotagonist Alex Lutin, Journalist bei der Abendzeitung und wohnhaft im Wien der Nachkriegszeit. Am Beginn der Geschichte steht der Mord an einer Wiener Geschäftsfrau, zu dessen Tatort Lutin aufgrund seiner guten Beziehungen zu der zuständigen Mordkommission hinzugezogen wird. Die Tat wird zunächst als ‚Lustmord‘ bewertet, wobei sich im späteren Verlauf herausstellt, dass weitaus mehr dahintersteckt. Sie bildet den Ausgangspunkt für die Verfolgungsjagd des Journalisten, die ihn quer durch Österreich führt. Auf der Suche nach einem geheimen Dokument aus dem Zweiten Weltkrieg, das die Anleitung für eine Geheimwaffe der Nazis enthält, gerät der Protagonist immer tiefer in einen Prozess unvorhersehbarer Ereignisse und wird mit Gewalt, weiteren Morden sowie Geheimdiensten konfrontiert und agiert zunehmend am Rande der Legalität. Schlussendlich offenbart sich jedoch, dass die Jagd durch Österreich zwecklos war, da es sich bei dem gesuchten Dokument um eine Fälschung der Amerikaner handelt, die zur Irreführung der Gegner angefertigt wurde.
Der zunächst in der Grazer Zeitschrift Neue Zeit erschienene Fortsetzungsroman Abenteuer im Nahen Osten, der 1963 in Buchform als Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan publiziert wurde, nimmt seinen Anfang in Paris, wo der als Journalist tätige Hauptprotagonist Erwant Rafaeljan den Auftrag der Atrium-Presse erhält, in seine Heimat, das fiktive südöstliche Land Dazien, zu reisen, um einen Bericht über dieses zu schreiben. Für Rafaeljan bringt dies jedoch einige Schwierigkeiten mit sich, da er von den beiden dort Bürgerkrieg führenden Parteien zum Tode verurteilt wurde und ins Exil flüchten musste. In Dazien spaltet sich die Regierung in die herrschende Partei Nationale Front, die Verbindungen zum Westen pflegt, und in die in die Illegalität getriebene Nationale Liga, die mit der Sowjetunion zusammenarbeitet. Bereits während der Reise nach Dazien kommt es zur Beschattung des Protagonisten durch zwei Agenten, was fortwährend den Charakter der gesamten Handlung prägen soll. Scheinbar pausenlos wird Rafaeljan aufgrund seiner Vergangenheit und seiner Tätigkeit als ausländischer Korrespondent von Spionen beider Fraktionen bewacht und verfolgt und wird schließlich auch Zeuge mehrerer Morde. Während es in Dazien allem Anschein nach keine anderen Aktivitäten als Spionage und Überwachung gibt, will der Staat dem Westen einen günstigen Eindruck hinterlassen und den Journalisten kontinuierlich von der Reportage über die politischen Zustände abhalten. Die Geschichte kulminiert schließlich – nach allgegenwärtiger Verdächtigung – in der erneuten Flucht des Protagonisten aus Dazien.
3.2 Gesellschaftspolitische Stimmung und Realitätsbezug
In beiden Romanen finden sich immer wieder Ereignisse und zentrale Momente, welche die gesellschaftliche Stimmung des Kalten Krieges in Österreich spiegeln und deren zeitgeschichtliche Verankerung kennzeichnen. So orientiert sich der in Und einer folgt dem anderen beschriebene Mord an der Geschäftsfrau an einem durchaus bekannten Verbrechen der Besatzungszeit, dem sogenannten ‚Badewannen-Mord‘ an der Wienerin Blanche Mandler. Wie auch die im Roman ermordete Cora Winter, die sich als „Unterhändlerin der Russen“ (Dor/Federmann 1953: 126) entpuppt und somit ebenfalls in die geheimdienstlichen Geschäfte verwickelt war, handelte es sich laut der Arbeiter Zeitung bei der Tat rund um Blanche Mandler um einen sogenannten Spionagemord (vgl. Maurer et al. 2017: 360). Weiters beschreibt der Roman mit der versuchten Entführung des deutschen Kaufmanns Doktor von Sacher eine für die Besatzungszeit und sowjetische Besatzungsmacht typische Situation (vgl. Stocker 2010b: 109). In dieser wird der Deutsche vermeintlich wegen einer gefälschten Identitätskarte von den Sowjets an der Demarkationslinie verhaftet und in einem Jeep nach Wien entführt. Er schafft es jedoch, aus dem Auto zu springen und um Hilfe zu rufen, sodass ihn letztendlich eine alte Dame vor einer neuerlichen Gefangennahme rettet, indem sie dem russischen Soldaten die Waffe wegschlägt (vgl. Dor/Federmann 1953: 34–36). Im Laufe der Geschichte wird allerdings in Erfahrung gebracht, dass auch der Herr Doktor von Sacher in den Verkauf der geheimen Pläne involviert ist (vgl. ebd.: 157).
Hervorzuheben ist ebenso die Passage, in welcher der fehlende Einsatz der österreichischen Polizei gegenüber der sowjetischen Besatzung geschildert wird: „Die Polizisten redeten auf den Soldaten ein, aber sie berührten ihn nicht [...].“ (Ebd.: 35) Denn wie sich in der Erzählung die Sowjets weigern, sich den Regeln der österreichischen Ordnungsmacht zu unterstellen, so besaß auch im besetzten Österreich der 1940er und 1950er Jahre die Polizei keine Macht über die alliierten Soldaten (vgl. Stocker 2010b: 114f.). Neben solchen konkreten Ereignissen porträtiert der Krimi auch die allgemeine Situation des Landes, wie beispielsweise mit der Beschreibung der Besatzungszonen, Demarkationslinien sowie Identitätskarten und die damit einhergehenden unterschiedlichen Obrigkeitsgebaren der Alliierten – mit Betonung auf das harte Durchgreifen der Sowjets durch Haftstrafen und Verschleppungen (vgl. Dor/Federmann 1953: 37).
Während in Und einer folgt dem anderen einige Szenen auf spezifische, tatsächlich vorgekommene Geschehnisse zurückzuführen sind, wird in Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan eher die generelle gesellschaftspolitische Atmosphäre Österreichs in einem scheinbar fiktiven Rahmen nachgezeichnet. Bekam Österreich aufgrund seiner geopolitischen Lage den Ruf der ‚Spionagedrehscheibe‘, greift der Roman dies auf, indem darin Paranoia, Spionage und gegenseitige Verdächtigungen zum Alltag werden. Als etwa Makartian, der Informationsminister Daziens, den Innenminister General Puccini auf dessen Vergangenheit anspricht, verfällt dieser zunehmend in Panik vor dem „Schnüffler“ (Dor/Federmann 1996: 27) seiner eigenen Partei. Des Weiteren verfällt auch der Hauptprotagonist Rafaeljan immer wieder der Angst vor Spionage, wie in mehreren Passagen zu lesen ist:
Jetzt hat er mich ganz in der Hand, dachte er. Er wird meine Berichte lesen, er wird jederzeit wissen, wo ich bin. Möglich, daß er mich vernichten will. Vielleicht will er mich dazu zwingen, Puccini eine Handhabe gegen mich zu liefern. Oder wollte er mich nur einschüchtern, um mich an sich zu binden? (Ebd.: 111)
Gleichzeitig wird der Journalist von der Regierung wiederholt an der Berichterstattung über die politischen Umstände Daziens gehindert. Regelmäßig bittet ihn der Minister Makartian, eine solche Reportage bis auf Weiteres zu unterlassen und stattdessen über die schöne Kultur des Landes zu schreiben (vgl. ebd.: 98f.). Auch dies zeugt von zeitgeschichtlicher Verankerung, kam es doch auch im Österreich der 1950er Jahre häufig zu Zensuren von Autor:innen (vgl. Maurer/Neumann-Riesser 2012: 69f.).
Nicht außer Acht gelassen werden darf neben dem Realitätsbezug der damit einhergehende Aktualitätsbezug. So zeugt die 2025 erschienene Neuauflage des 1953 erstmals publizierten Romans Internationale Zone mit einem Nachwort von Günther Stocker nicht nur von der fortwährenden Notwendigkeit einer literarischen Aufarbeitung der Thematik rund um den Kalten Krieg, sondern auch von deren Gegenwärtigkeit und Relevanz. Demgemäß betont Stocker hier erneut die Verflechtung der „prägenden gesellschaftlichen Erfahrungen der Besatzungszeit mit den damaligen politischen und medialen Diskursen, genretypische Handlungselemente mit historischen Traumata“ (Strocker 2025: 247). Denn auch in diesem Werk greifen die Autoren auf reale Ereignisse zurück und beziehen sich bei zentralen Motiven des Plots, wie etwa Menschenraub und illegalem Handel, auf Artikel der Arbeiter-Zeitung (vgl. ebd.: 249). Die Handlungsstränge, die aufgrund ihrer Absurdität dem ersten Anschein nach frei erfundenen scheinen, erhalten so eine neue Dimension und rücken eine Welt ins Licht, die nahezu als fiktiv eingestuft werden könnte. Gleichermaßen würden Presseberichte noch des 21. Jahrhunderts Stoff für Fiktion bieten. Themen wie Spionage, ideologische Blockbildungen, Einschränkung der Pressefreiheit, das Erstarken extremistischer Positionen oder gar die Fragmentierung der Gesellschaft beschäftigen die Menschheit auch noch heutzutage, beziehungsweise gerade in den letzten Jahren immer intensiver.
4. Verarbeitung in der Unterhaltungsliteratur
4.1 Begriffsdefinition
Um die Primärliteratur einer genaueren Analyse zu unterziehen, bedarf es zunächst einer kategoriellen Einordnung und Begriffsdefinition der literarischen Termini ‚Unterhaltungs-‘ und ‚Trivialliteratur‘ sowie des ‚Thrillers‘. Peter Nusser grenzt den Begriff der Unterhaltungsliteratur von dem der Trivialliteratur ab und schreibt Ersterem eine diskreditierende Wertung ausgehend vom literarischen Feld und allgemein der Gesellschaft zu, wobei bereits durch alternative Methoden wie das Dreischichtenmodell zur Einteilung der Qualität von Literatur versucht wurde, diese Abwertung zu revidieren. Orientiert man sich nach Nusser an der Herkunft und der Auffassung des Wortes ‚trivial‘ als etwas „allgemein Bekannte[m]“ oder als etwas „Einfache[m] und Unkomplizierte[m]“ (Nusser 1991: 2f.), so kann sich von einer abwertenden Haltung abgegrenzt und Trivialliteratur wertneutral als „weit verbreitete und leicht verständliche Literatur“ (ebd.: 3) angesehen werden.
In Anbetracht dieser Definition und Eigenschaften wie leichter Verständlichkeit sowie beträchtlicher Popularität ist der ‚Thriller‘ samt Kriminal- und Spionageroman demnach der trivialen Literatur zuzuordnen. Auch als ‚kriminalistische Abenteuerliteratur‘ bezeichnet, zeichnet sich der Thriller in erster Linie durch eine Reihe ereignisreicher Handlungen und Verfolgungsjagden aus, wobei die aufdeckende Vorgehensweise eines Detektivs oder des Hauptprotagonisten mehr in den Hintergrund rückt (vgl. Nusser 2009: 3). Weiters wird der klassische Thriller in die drei Phasen Straftat, Verfolgung und schließlich Überwältigung eingeteilt, bei welchen die Lesenden stets aktiv mitgenommen werden. Wichtig zu betonen ist, dass es sich bei den Verbrechen in Thrillern niemals um Einzelfälle handelt, stets häufen sich mehrere Übeltaten und es entsteht der Eindruck, als gehöre dies zum Alltag. Demzufolge eignet sich das Genre insbesondere, um auf Missstände einer Gesellschaft, wie etwa Korruption oder ähnliches, aufmerksam zu machen und kann somit eine „sozialkritische Funktion […] übernehmen“ (ebd.: 54).
4.2 Charakteristika des Kriminal- und Spionageromans bei Dor und Federmann
Fallen beide Bezeichnungen unter den Überbegriff des ‚Thrillers‘, sollen im Folgenden die Gemeinsamkeiten von Kriminal- und Spionageroman erörtert sowie auf die spezifischen Attribute des Letzteren in den beiden Werken des Autorenduos Dor und Federmann eingegangen werden. Der Soziologe Luc Boltanski hebt im Wesentlichen sechs Berührungspunkte der zwei Gattungen hervor. Zunächst schreibt er von dem „Kunstgriff“ (Boltanski 2015: 230) der Genres, welcher vor allem in der Verunsicherung der Realität liege. Gemeint sind damit die in Thrillern immer wieder auftretenden Szenen, in welchen sich Situationen, von denen ausgegangen wird, dass sie richtig sind, als falsch entpuppen und somit immer wieder Ungewissheit bei den Protagonist:innen wie auch bei der Leserschaft erzeugen.
Wiederholt gut veranschaulicht wird dies in Und einer folgt dem anderen. Vermeintliche Opfer wie die ermordete Cora Winter, der beinahe entführte Doktor von Sacher oder Herr Kahr, ein Holzhändler, an dem ein Raubüberfall begangen wurde, erweisen sich zum Schluss alle als Betrüger:innen und waren in den geplanten Verkauf der Dokumente verstrickt. Weiters werde die Aufgabe, diese Ungewissheit dann einzuschränken und erneut ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, an den Staat gestellt, wodurch typischerweise eine gewisse Erwartungshaltung an diesen entstehe. Eine weitere Charakteristik bestehe in der Gewalt und Notwehr, die sowohl vom Staat als auch von Protagonist:innen vollzogen werde. Deutlich zeigt sich dies in einer Textpassage in Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan, in welcher es zu einer Konfrontation zwischen Agenten der verfeindeten Parteien kommt und Schüsse fallen:
Morrien zog den Revolver heraus und begann zu schießen. [...] Er drehte sich im Laufen um seine Achse und sah einen Herrn mit breitem Hut, der ihn wild anstarrte. Er schoß den Herrn mit dem breiten Hut nieder. Vor sich sah er den blutrot aufgerissenen Mund einer Frau [...]. Er schoß sie nieder. (Dor/Federmann 1996: 75)
Anknüpfend an die Verunsicherung der Realität sei ein wesentliches Merkmal die fehlende Authentizität der handelnden Personen, deren Integrität durch die allgegenwärtige Unsicherheit zunehmend nicht mehr einzuschätzen sei. So etwa wäre es als Journalist die Pflicht Lutins, während der Berichterstattung und Falllösung stets neutral zu bleiben und sich durch Objektivität auszuzeichnen. Im Laufe des Romans wird jedoch immer deutlicher klar, dass auch er an dem Verkauf des Dokuments zu seinem eigenen Nutzen interessiert ist und dafür auch bereit ist, Verbrechen zu begehen. Er sinniert: „War ich jetzt noch der neugierige Reporter oder war ich schon ein Waffenschieber?“ (Ebd.: 172) Des Weiteren schreibt Boltanski von einer charakteristischen „paranoiden Geisteshaltung“ (Boltanski 2015: 231) der Hauptfigur. Deren Verlangen, die vermeintliche Realität als wirklich auszuweisen, sei so groß, dass es zu einer endlosen Kette an Rückfragen führe, was nun wahr sei oder nicht. Schließlich komme es zur Spaltung des Helden, indem dieser in zwei Individuen dividiert werde. Ein Individuum werde dabei verfolgt, und das andere verfolge selbst. Alex Lutin stellt hierfür ein sehr gutes Beispiel dar: Er fahndet nach dem Geheimdokument der Nazis, während er gleichzeitig von den beiden russischen Agenten Kornejtschuk und Simonow gejagt wird.
Von besonderer Relevanz ist weiters die Eigenschaft des Spionageromans, einen Staat im Kriegszustand darzustellen (vgl. ebd.: 234). Wie aus den oben genannten Informationen zu schließen ist, befindet sich das jeweils beschriebene Land beider Romane in staatlicher Unordnung, geprägt einerseits durch unterschiedliche Regelungen in den Besatzungszonen und andererseits durch das Bestreben der Regierungen, ihren eigenen Ambitionen nachzugehen (vgl. Stocker 2010b: 114). Der Spionageroman hat somit von Natur aus ein politisches Wesen, indem er einen Konflikt zwischen einer Staatsmacht und einem kollektiven Feindbild, meist einer Geheimdienstorganisation, porträtiert. Hierbei handelt es sich jedoch um einen verborgenen Konflikt, um einen „Krieg unter dem Deckmantel eines vordergründigen Friedens“ (Boltanski 2015: 237). Zur selben Einschätzung kommt auch Eva Horn. Da ein real auszutragender Krieg durch das „lähmende Paradox“ (Horn 2007: 311) der Atomwaffen nicht austragbar war, kam es stattdessen zu einem geheimen Krieg, dessen eigentliche Waffe das Wissen und die Spionage war.
Boltanski macht fernerhin deutlich, dass die eigentliche Intention dieser Art des Thrillers ist, zu zeigen, dass in einem Staat stets Krieg herrscht, wenn auch verdeckt. Er zeichnet sich also immerzu durch seine Fragilität aus. Zudem nehmen Verbrechen und Verunsicherung in den Ländern jener Romane einen solchen Stellenwert ein, dass der Eindruck entsteht, dieser Zustand gehöre zur Normalität und jede Person könne verdächtig sein. Insofern ist der Held oder die Heldin des Romans nicht nur mit Feinden von außerhalb konfrontiert, sondern auch mit jenen von innen (vgl. Boltanski 2015: 237). So sagt auch der Informationsminister Makartian in Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan:
Wir führen einen Zweifrontenkrieg. Einmal müssen wir uns gegen die Bedrohung aus dem Osten wehren und gegen die Söldlinge des Ostens im Inland, und zum zweiten müssen wir uns der Feinde der eigenen Reihen erwehren. (Dor/Federmann 1996: 98)
Hiermit sollen nur einige Charakteristika genannt sein, welche auf die Romane des Autoren-duos zutreffen und sie folglich in das Genre der Unterhaltungs- beziehungsweise der Spionageliteratur einordnen.
4.3 Humor
Nachdem beide Werke nun eindeutig einem Genre zugeordnet werden konnten, stellt sich weitergehend die Frage, wieso die beiden Autoren dieses gewählt haben. Milo Dor selber schreibt bezogen auf Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan: „Wir wollten eine Satire über den Kalten Krieg und das Handwerk der Politik schreiben, das von manch anderen Autoren mit tiefem Ernst behandelt wurde.“ (Dor 1996: 203) Es liegt demgemäß nicht fern, dass in den zwei Thrillern der Unterhaltungsliteratur inhärent typische Merkmale zu finden sind, die bewusst dafür eingesetzt wurden. Generell betrachtet zeigen dauerhaft angespannte Situationen wie der Kalte Krieg das Vermögen, Spannungen und Ängste aufkommen zu lassen. Satirische Texte bieten hierbei die Möglichkeit, die verschiedenen Konflikte und Widersprüche dieser prekären politischen und gesellschaftlichen Lage auf humorvolle oder überzeichnete Weise zu verarbeiten und zu kritisieren.
Dem Literaturwissenschafter Jörg Schönert zufolge lässt sich das so erklären, dass Satire durch die humorvolle Umkehrung von negativen und positiven Aspekten einer realen Situation aufzeigt, dass Dinge, die als gegeben betrachtet werden, nicht zwangsläufig so bleiben müssen und sehr wohl veränderbar sind (vgl. Schönert, zit. n. Maurer/Neumann-Rieser 2012: 52f.). Für diese Veranschaulichung werden unterschiedliche Stilmittel, wie etwa die Übertreibung oder Wiederholung, verwendet. Auch der Schriftsteller Robert Neumann sieht in den Elementen der Satire die Möglichkeit zur Kritik. Parodie sei demnach eine besondere Form des Witzes, bei dem nur indirekt gesagt werde, was gemeint sei und die ursprüngliche Aussage durch lustige Nachahmung oder Verzerrung des behandelten Themas ersetzt werde. Folglich kritisiere sie also nicht offen und ausfallend, sondern auf künstlerische Art und Weise. Sie erziele ihren Effekt, indem sie die Lesenden dazu bringe, die Verzerrung zeitverzögert zu erkennen und darüber nachzudenken. Im Österreich der 1950er ging die Verwendung von Stilmitteln wie „Zynismus, Satire, Parodie, Anti-Utopie und Apokalyptik“ (Neumann, zit. n. Maurer/Neumann-Rieser 2012: 55) und die damit ausgeübte Kritik an politischen Umständen jedoch mit einigen Risiken einher. So war kritische satirische Literatur nicht nur von Seiten der sowjetischen Behörden, sondern auch seitens der österreichischen Regierung nicht gern gesehen.
Neumann beschreibt den Witz als eine subtile Form des Protests. Er argumentiert, dass der Witz ein Mittel ist, um auf eine zurückhaltende Weise gegen Autoritäten oder einflussreiche Instanzen zu protestieren. Diese Instanzen sind diejenigen, bei denen offene Aggression oder Widerstand nicht erlaubt, unangemessen oder sogar gefährlich wären. Der Humor wird hier als eine Art Waffe der Schwächeren definiert, um sich gegen mächtigere Kräfte zu wehren und um Frust, beziehungsweise Missbilligung auszudrücken, ohne dabei direkt anzugreifen. Jenes Potenzial der Unterhaltungsliteratur erkennt auch Horn:
Fiktionen sind [...] die luzideste Möglichkeit, in der Moderne über das politische Geheimnis zu sprechen. Gerade weil Fiktion den Anspruch von Historikern oder Journalisten aufgibt, die eine historische Wahrheit über ein Ereignis vortragen zu können, ist sie besser als alle anderen Diskursformen geeignet, von Geheimnissen zu sprechen, ihre Form zu erläutern – ohne diese Geheimnisse endgültig lüften zu können. (Horn 2007: 10f.)
Derartige Ausdrücke von Widerstand zeigen sich sowohl in Und einer folgt dem anderen als insbesondere in Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan und zeugen von der ablehnenden Haltung der beiden Autoren gegenüber realpolitischen Themen der Nachkriegszeit. Als zentrales Element hierbei gilt die Distanz. So bedingt die Wahl der Gattung der Unterhaltungsliteratur, bzw. die Verwendung typischer Elemente des Genres, die Entfremdung einer ernsten Problematik. Dadurch wird diese Problematik nicht in seiner ursprünglichen Ernsthaftigkeit präsentiert, sondern vielmehr als eine übertriebene, ins Lächerliche gezogene Darstellung.
In Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan geschieht dies beispielsweise durch die Verortung der Geschichte in einem imaginären Terrain, dem Westbalkanstaaten ähnlichen Dazien und dem Österreich gleichenden Illyrien. Daneben wird dies dadurch erreicht, dass genretypische Themen wie etwa Agenten oder Verfolgungsjagden bewusst übertrieben und humoristisch dargestellt werden (vgl. Maurer/Neumann-Rieser 2012: 67f.), wie zum Beispiel die beiden russischen Agenten Simonow und Kornejtschuk, die in Und einer folgt dem anderen von ihrem Vorgesetzten Oberst Puschkin beauftragt werden, Alex Lutin zu beobachten. Nicht nur die abfällige Beschreibung der Agenten als Mann mit den „Säbelbeinen“ und seinen „stiernackigen Kumpan“ (Dor/Federmann 1996: 30), sondern auch die Wahl der Pseudonyme erzeugt Sarkasmus. Während Puschkin der Name des bekannten russischen Dichters ist, handelt es sich bei Simonow und Kornejtschuk um die Namen zweier sowjetischer Schriftsteller. Solche klischeehaften, wenig subtilen Namen, die eine klare Verbindung zur russischen Kultur herstellen, verstärken die satirische Darstellung der Figuren und verleihen der ernsten Spionagethematik humorvolle, karikaturartige Züge.
Im Weiteren brechen die Thriller immer wieder mit den klassischen Regeln der „heroic spy fiction“ (Maurer et al. 2017: 393). Anstelle dessen wird hier eine ‚anti-heroic spy fiction‘ erschaffen, bei der Spione nicht wie traditionell als Helden erscheinen, sondern die typischen Spionagehandlungen als überzeichnet, absurd und lächerlich porträtiert werden. Genannt werden kann hier zum Beispiel das Blumengeschäft in Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan, welches in erster Linie als Niederlassung des Geheimdienstes der Nationalen Liga verwendet und über das mithilfe eines Chiffrecodes auch Waffenlieferungen und Auftragsmorde abwickelt wird. Oder aber jene Szenen, in denen Rafaeljan merkt, dass er bewacht wird und sich bereits so sehr damit situiert hat, dass er schlussendlich darauf besteht, seinen Verfolger auf ein Getränk einzuladen. Somit geht nicht nur die Bedrohlichkeit der Spionage verloren, sondern auch die Konventionen des Thrillers werden hinterfragt und parodiert.
Anhand immer wiederkehrender Übertreibungen und Wiederholungen wird die parodische Ausdrucksweise der Texte und das allgegenwärtige Misstrauen der Gesellschaft nochmals evident gemacht. Beispielshalber während der bereits zuvor beschriebenen Szene, in welcher sich der General Puccini von Minister Makartian zunehmend verunsichert fühlt:
Und wie war er hinter seine letzten Geheimbefehle gekommen? Dieses Innenministerium musste voller Spitzel und Verräter stecken. [...] Warum spielte dieser Schnüffler auf seine Jugend an? [...] Was will er von mir? [...] Was meinte der Schnüffler damit? (Ebd.: 393)
Demgegenüber wirken auch direkte Anspielungen auf realpolitische Ereignisse als satirische Kritik. Nimmt man etwa die „Spiegelbildlichkeit beider Seiten und deren explizite Anbindung an die beiden Großmächte im Krieg“ (Maurer/Neumann-Rieser 2012: 70), die durch die Parteien Nationale Front und Nationale Liga vertreten werden und simultan einen Tötungsversuch gegen Rafaeljan starten und dann wieder zurückziehen, wirkt auch dies demaskierend und komisch. Sowohl im Roman, als auch im Kalten Krieg sind politisch und militärisch parallele Dynamiken zwischen den beiden Mächten zu sehen, wobei die Nationale Front die USA und die Nationale Liga die Sowjetunion repräsentieren soll. Beide Supermächte verhielten sich in vielen Fällen ähnlich, indem sie ihre Interessen mit harten, oft undurchsichtigen Mitteln durchsetzten, wodurch beide Seiten gleichermaßen als manipulativ und aggressiv verstanden werden. Dies kann durchaus als satirische Kritik an der politischen Landschaft dieser Zeit betrachtet werden, in der beide Seiten – trotz ihrer unterschiedlichen Ideologien – vergleichbare Methoden nutzten, um ihre Macht zu sichern und Gegner auszuschalten.
Weiters gelingt es beiden Thrillern, das Machtstreben sowie die Bestechlichkeit, von denen alle Protagonist:innen betroffen sind, als Teil eines größeren, systemischen Problems auszuweisen und einen Überblick über die verschiedenen ineinander verwobenen Geschehnisse zu bieten. So handeln die Charaktere nicht isoliert, sondern als Teil eines Systems, dessen Anschauung Skrupellosigkeit und Herrschbegierde verlangt, um in ebendiesem zu überleben. Infolgedessen erweisen sich politische Handlungen wie gegenseitige Bespitzelung oder Übervorteilung als ein Verhalten, das einer durch äußere Umstände geforderten Logik folgt. Diese politische Logik erzeugt eine Umgebung, in der Menschen ständig misstrauisch sind, andere ausspionieren und versuchen, sich gegenseitig zu manipulieren. Im Zusammenhang damit bilden Parodien eine verzerrte und übertriebene Version der Realität ab, um die Missstände dieser ersichtlich zu machen. Zudem hinterfragt und verspottet sie die akzeptierte Norm einer Gesellschaft und stellt ihr gleichzeitig eine indirekt bessere Alternative gegenüber, auch wenn diese nicht konkret formuliert wird.
Letztlich ergibt sich die Erkenntnis, dass von Verfolgungsjagden, Korruption, Spionage, Geheimnistuerei und Morden geformte Szenen wie sie in den beiden Thrillern zu lesen sind, vielmehr zu einer fiktiven, überdramatisierten Geschichte passen, als in die reale Welt. Insbesondere durch die Verwendung des Stilmittels der Übertreibung gelingt es, genau dies satirisch wiederzugeben und die Vertretbarkeit dahinter infrage zu stellen (vgl. ebd.: 70).
5. Zusammenfassung
„Was wirklich in Dazien geschah“ (Dor/Federmann 1996: 20): So lautet der Titel der Broschüre, die Herrn Erwant Rafaeljan aufgrund ihrer Offenbarung der wahren politischen Verhältnisse des Landes berühmt macht. Ähnlich steht es auch um die beiden hier abgehandelten Romane Und einer folgt dem anderen sowie Die Abenteuer des Herrn Rafaeljan, deren humoristische Darstellung der 1950er Jahre in Österreich nicht bloß zur Unterhaltung dienen soll, sondern vielmehr als Hinweis auf gesellschaftspolitische Problematiken und Kritik daran.
In Dors und Federmanns Romanen handelte es sich bei den Hauptprotagonisten um Journalisten, die – ihrer Tätigkeit geschuldet – immer weiter in die Rolle des Verbrechers und, noch wichtiger, des Spions gedrängt werden. Indem den fiktiven Handlungen und Ereignissen immer wieder wahrhaftige Situationen hinterlegt werden, schaffen die beiden Autoren einen Realitätsbezug und verweisen somit auf die tatsächliche gesellschaftspolitische Atmosphäre der Besatzungszeit. Erreicht wird dies beispielsweise durch eine Anlehnung an den berühmten ‚Badewannen-Mord‘. Nachdem ausgemacht werden konnte, dass die zwei Werke durch die klassischen Merkmale der Spionageliteratur zu beurteilen sind, wurde auf die eigentliche Intention hinter dem Verfassen eines Thrillers verwiesen: Um zu zeigen, „dass der Staat sich immer im Krieg befindet, immer bedroht, immer fragil ist“ (Boltanski 2015: 237).
Abschließend stellte sich die Frage, weshalb die Autoren das Genre der Unterhaltungsliteratur gewählt haben. Dies ist insbesondere daraufhin zurückzuführen, dass Humor als geeignetes Ventil für Angst und Unsicherheit dient. Als eigene Form des Witzes stellt die Parodie darüber hinaus eine Chance dar, auf indirektem Weg Kritik an gesellschaftlichen Missständen zu üben, wo dies auf unverhülltem Weg gar nicht möglich wäre. Die Verzerrung ernster realer Thematiken und die überrissen beschriebenen Charaktere bedingen eine Veranschaulichung, die ins Lächerliche gezogen werden kann. Wiederholt umgehen Dor und Federmann damit einerseits den üblichen Usus der Kriminal- und Spionageromane und andererseits hinterfragen sie diesen auch. Des Weiteren erkennen sie hinter politischen Handlungen, wie etwa der Spionage und Korruption, ein weitläufigeres Problem, welches nicht von Individuen allein abhängt, sondern vielmehr durch das System gefordert ist. Letzten Endes bedingt dies wiederum ständiges Misstrauen und andauernde Paranoia, wie sie in den Thrillern – wenn auch überzeichnet – beschrieben sind.
Hielten sich viele zeitgenössische Autorinnen und Autoren von politischen Themen fern, so wollten Dor und Federmann mit der Wahl des Unterhaltungsromans bewusst Kritik an gesellschaftlichen Missständen üben. Ihre Werke bieten damit nicht nur spannende Erzählungen, sondern auch eine Reflexion über die politischen und gesellschaftlichen Mechanismen, die das Leben im Kalten Krieg bestimmten. Sie nutzten die Gattungen des Kriminal- und Spionageromans, um auf zugängliche, aber dennoch kritische Weise die realen Spannungen und Ängste der Nachkriegszeit zu thematisieren. Durch den Einsatz von Komik wird die Absurdität der politischen Lage bloßgestellt, ohne die Ernsthaftigkeit der Kritik zu verlieren. Damit haben die Autoren erfolgreich literarische Werke geschaffen, welche nicht nur unterhalten, sondern vor allem auch einen tiefen Einblick in die Dynamiken des Kalten Krieges, in das Spionagewesen und in die generellen undurchsichtigen und korrupten politischen Praktiken bieten.
Nicht grundlos attestiert der Politologe Eric Frey der Welt in Anbetracht gegenwärtiger geopolitischer Spannungen – vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine über den eskalierenden Nahostkonflikt, die autoritäre Repression im Iran, bis hin zu den Machtkämpfen um Taiwan und der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung in den USA – erneut den Zustand eines Kalten Krieges (vgl. Frey 2025). Ebendiese anhaltende Gültigkeit zentraler Motive der Romane zeigen, dass die in den Werken Dors und Federmanns verhandelten Spannungen nicht bloß vergangenheitspolitische Phänomene sind, sondern vielmehr Strukturmerkmale moderner Machtverhältnisse. Die neue editorische Aufmerksamkeit etwa, die Internationale Zone durch die jüngste Neuauflage erfahren hat, unterstreicht einmal mehr die über die Unterhaltung hinausgehende Funktion scheinbar trivialer Spionageromane – sie erscheinen nicht nur als zeitgeschichtliche Dokumente, sondern als literarische Reflexionsräume über Mechanismen, die bis heute fortwirken.
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