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born digital
Am Beispiel von Tobias Seicherl, dem populären Protagonisten eines politisch-satirischen Comicstrips in der Wiener Pulp-Zeitung
Using the example of Tobias Seicherl, the popular protagonist of a political satire comic strip in the Viennese pulp paper
I bin Patriot, wer links steht is mei
Feind!
(KB,
4. Jg., Nr. 279, 9. Oktober 1930, S. 6), lässt Seicherl, der
Protagonist des Comicstrips
In der fünften Folge mit dem Titel ‚Seicherls Feind steht links‘ wird zum einen die (tages-)politische Ausrichtung von
Dieser falsche Kurzschluss von linker politischer Orientierung mit einer räumlich von links kommenden Person ist typisch für die Erzählweise des Strips und funktioniert, weil der Protagonist in den unpolitischen Episoden entsprechend narrativ und bildlich eingeordnet wird. In den vier vorhergehenden Folgen wird Seicherl als Trinker, Tollpatsch, Pechvogel und Einfaltspinsel dargestellt, dem das Leben – obwohl nicht unverschuldet – übel mitspielt. Immer wieder wird auch die ‚Dummheit‘ Seicherls dar- und ausgestellt, meist mit unangenehmen Folgen für den Protagonisten: In Slapstick-Manier wird Seicherl ständig aus unterschiedlichen Lokalen und Institutionen hinausgeschmissen, von Zügen und Autos überfahren oder von aufgebrachten Mitbürger:innen verprügelt.
Mit dieser fünften Folge, ‚Seicherls Feind steht links.‘, wird nun auch die
politische Orientierung des Comicstrips offensichtlich: Die stehende Figur
Tobias Seicherl, dessen Name aus dem Wiener Dialekt einen Schwächling, einen
opportunistischen Feigling ohne Rückgrat suggeriert (vgl. Havas/Sackmann 2010: 51), sympathisiert mit den
‚Rechten‘, was in den 1930-Jahren zunächst vor allem die zunehmend militante
Heimwehr, die sogenannten Hahnenschweifler[]
(KB, 5. Jg., Nr. 342, 12. Dezember 1931, S.
13), und die Nationalsozialisten, die Hakinger[]
(KB, 6. Jg., Nr. 114, 24. April 1932, S. 25), einschloss. Dieses
Engagement geht allerdings selten gut aus und Seicherl (und mit ihm die
‚Hahnenschweifler‘ und ‚Hakinger‘) landet in der – metaphorischen und wörtlichen
– Gosse. Der Strip erzählt und kommentiert so durch seine grundlegend politische
Konzeption ab 1930 die politischen Entwicklungen von Austrofaschismus bis zum
‚Anschluss‘ Österreichs an NS-Deutschland über die Figur Seicherl: Dieser stürzt
sich etwa begeistert in den Wahlkampf für Bundespräsident Wilhelm Miklas oder
freundet sich mit dem CS-Vorsitzenden Carl Vaugoin an, lässt sich sowohl von der
Heimwehr als auch von den Nationalsozialisten leicht vereinnahmen: Seit Oktober
1930 Mitglied der Heimwehr, wird Seicherl im April 1932 dann sogar kurz zum
Kommunisten und gleich darauf zum ‚Hakenkreuzler‘. Die g’falln ma besser, weils‘ a Uniform
hab’n
(KB, 6.
Jg., Nr. 98, 8. April 1932, S. 13), begründet er seine wenig
ideologisch inspirierte Entscheidung.
Während die politische Karikatur in den 1930er-Jahren blühte, war die politische Ausrichtung von Comicstrips in Europa zu dieser Zeit selten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die politische Orientierung von europäischen Comicstrips zusehends abgenommen (vgl. Kunzle 1990: 7). Eine Ausnahme stellten hier allerdings Strips aus der Habsburger-Monarchie dar, wie der Comichistoriker David Kunzle in seiner umfassenden Untersuchung zum frühen europäischen Comic feststellt:
The Austrian strips of this period are predominantly political, and persistently so, as nowhere else in Europe. The installation of a “bourgeois ministry” in 1868, the ascendancy of liberals, and the new, if limited, parliamentary representation and power served to mitigate press censorship, thus permitting a level of critical freedom in domestic and foreign affairs that was perhaps greater than anywhere in Europe outside Britain. (Kunzle 1990: 334)
Diese Verbreitung des politischen Strips nimmt jedoch gegen Ende der 1880er-Jahre auch in Österreich-Ungarn unter dem Einfluss französischer Produktionen und deren Hang zu Erotika wieder ab. Der Strip an und für sich blieb in der Monarchie allerdings populär, etwa jene des Tschechischen Zeichners Karl Klič, der seine Zeichnungen in Zeitschriften wie
Allerdings scheint sich der Strip weniger an europäischen Comicstrips zu
orientieren als an amerikanischen Produktionen. Während in (West-)Europa
Comicstrips meist eher in den Kinderbeilagen von Tageszeitungen erschienen und
pädagogisch hehre Ziele verfolgten (vgl. Knigge 2009: 24), waren die amerikanischen
soziales Panoptikum(Platthaus 2016: 183), in dem unterschiedlichste Nationen, Sprachen und Ideen satirisch aufeinandertreffen. Bei Outcault wie auch in anderen US-amerikanischen Frühformen des Comicstrips ist so durchaus auch eine gesellschaftskritische, politisch-subversive Haltung auszumachen, die sich mit ihrer Ausrichtung auf erwachsene Leser:innen und den moralisch oft nicht eindeutig integren Protagonist:innen häufig gegen Autoritäten und bürgerliche Moralvorstellungen richtet (vgl. Knigge 2009: 24).
Interessant ist die politische Ausrichtung von
die Phantasie der Massen fesselt […] und in der einfachen Sprache des Volkes zum Volk spricht(Braunthal zit. n. Denscher 1983: 9). Sie wurde als Kontrapunkt zur theorielastigen Parteiagitation gegründet und richtete sich dementsprechend mit klar sozialdemokratisch orientierten, aber zugänglichen Inhalten wie
A rule confirms the lower-class orientation of the comic strip: the more serious, the more political, the more sophisticated the magazine, the less likely it was to carry comic strips.(Kunzle 1990: 7) Die Geschichten über den ‚rechten‘ Seicherl fügen sich so nahtlos in die Blattlinie, denn Anhänger wie Seicherl diskreditieren natürlich die Sache, für die sie sich einsetzen. Seine Unterstützung kann sich
sei‘ ärgster Feind net wünsch’n(‚Seicherls Erlebnisse im Wahlkampf‘, 9. Oktober 1931, zit. n. Denscher 1983: 50), wie sein Hund Struppi, der als vernunftbegabtes Korrektiv und Identifikationsfigur für die sozialdemokratischen Leser:innen fungiert, eine von Seicherls Aktionen kommentiert.
Soweit die Ausrichtung am Ausgangspunkt von
Im März 1933, kurz nach der sogenannten ‚Selbstausschaltung‘ des österreichischen Parlaments und dem Beginn des Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuß, ändert sich die Situation der sozialdemokratischen Presse in Bezug auf Pressefreiheit radikal. Unter anderem wurde die Vorzensur eingeführt und Kolportageverbote erlassen bzw. zumindest angedroht, was auch zu einer Änderung der Berichterstattung im
Unsere Leser werden verstehen, in welche Bedrängnis wir gekommen sind. Sie werden begreifen, daß man nun eine Zeitung(KB, 7. Jg., Nr. 158, 11. Juni 1933, S. 5; Hervorhebung im Original)andersschreiben muß als bisher.
Diese Veränderung der Publikationsbedingungen kommentiert Kmoch in der Folge
‚Seicherl wagt nicht zu husten.‘ (Abb. 2) verdeckt: Seicherl muss husten,
kann das aber nicht in der Öffentlichkeit tun: Die Zeiten sind nicht danach
, wie
Struppi kommentiert, sondern er verschwindet dafür in den Keller. Husten als
Chiffre für ‚sich kritisch äußern‘ ist nur im Keller, wo man nicht gehört wird,
möglich, weil man sonst mit Repressionen zu rechnen hat. Kmoch reagiert hier zum
einen auf die eingeschränkte Pressefreiheit, zum anderen kommentiert er aber
auch das Verhalten der Sozialdemokratie, die sich angesichts der Ausschaltung
des Parlaments überraschend passiv verhielt (vgl. Denscher 1983: 93) und eben nicht hustet. Kmoch
erzeugt mit dieser Folge ein Paradox: Politische Meinungsäußerung ist, so die
Aussage der Folge, nur noch im Geheimen möglich und gleichzeitig tut Kmoch es
doch in aller Öffentlichkeit.
Der Februaraufstand 1934 und das darauffolgende Verbot der Sozialdemokratie tat schließlich sein Übriges und machte auch vor dem
Wir alle sind schon wieder da(KB, 8. Jg., Nr. 42, 28. Februar 1934, S. 1). Auf Seite 2 wird die neue Ausrichtung des
von der Regierung beabsichtigten ‚Normalisierung‘ und […] ‚Versöhnung mit der Arbeiterschaft‘(Potyka 1989: 29) deutlich:
Das Kleine Blatt erscheint wieder. Man hat der Arbeiterschaft ihren alten Freund zurückgegeben und damit einen sichtbaren Beweis der wiederholt geäußerten Absicht gegeben, die Wunden so rasch als möglich zu heilen und über die vergangenen Tage des Unglücks den Schleier der Versöhnung zu breiten. (KB, 8. Jg., Nr. 42, 28. Februar 1934, S. 2)
Die Neugestaltung des staatlichen Lebens
(ebd.), wie es weiter heißt, hat auch
auf Seicherl und Struppi Einfluss: Kmoch enthält sich von nun an politischer
Kommentare. Seicherl verliebt sich, wird zum Schriftführer beim Sparverein,
befindet sich im Erfinderwahn
(KB, 8. Jg., Nr. 62, 20.
März 1934, S. 13.) und begibt sich auf eine Weltreise. Kmoch baut so
nach den Februarkämpfen die unpolitische Linie seiner Seicherl-Comics aus und
garantiert sich dadurch auch in der veränderten Blattlinie einen Platz.
Mit Übernahme des NS-Regimes 1938 ändert sich die politische Stoßrichtung von
durt die arische Rasse – quasi – [zu] repräsentier’n!(KB, 12. Jg., Nr. 116, 28. April 1938, S. 10).
Zurückgreifend auf die antisemitische Zuschreibung der habgierigen ‚jüdischen
Lügenpresse‘, bedient sich die Darstellung der anwesenden Journalisten visueller
antisemitischer Stereotypen (z. B. Hakennase, krauses Haar, ‚Hässlichkeit‘) und
markiert die versammelte Presse auch sprachlich als jüdisch. Denn während sonst
alle Figuren, von Seicherl über Angehörige diverse Nationalitäten bis hin zu den
auf den Weltreisen häufig auftauchenden sprechenden Tieren, eine an den
Wienerischen Dialekt angelehnte Sprache verwenden, werden jüdische Figuren unter
anderem über ihre divergente Sprache als nicht zugehörig gekennzeichnet: Verzeih’n Se, Herr Kollege, können Se mer
überloss’n ä poor gute Greulnachricht’n über Osterreich? Jach brauch se [zu]
liefern an à amerikanische Korrespondenz!
(Abb. 3) Diese Mischung aus
fehlerhafter Sprache und verzerrtem Jiddisch grenzt die jüdischen Journalisten
in Genf vom ‚astreinen‘ Wienerisch von Seicherl, Schwasser und Struppi ab.
Ein sehr ähnliches Verfahren der antisemitischen Verwendung von Sprache stellt Kees Ribbens im niederländischen Comicstrip
Unlike most of the other protagonists in the comic, Jews make their statements in words that are incomplete or incorrectly spelled, regardless of their social background. […] The characters’ command of the language is poor and is presented as an idiosyncratic concoction of slang and Yiddish. (Ebd.: 15)
Ähnlich wie Beekman schreibt Kmoch dabei diese Markierung von Juden (es treten keine Jüdinnen auf) als ‚das Andere‘ den jüdischen Figuren selbst zu: Dadurch dass Schwasser sich selbst (und andere) nichtjüdische Menschen mit dem hebräischen Begriff ‚Gojim‘ bezeichnet, spielt er auf die in antisemitischen Argumentationen oft aufgerufene vorgebliche Absicht von Juden und Jüdinnen an, sich als ‚etwas Besseres‘ von der nichtjüdischen Bevölkerung abgrenzen zu wollen, an (vgl. Ribbens 2018: 15). Nicht die Juden und Jüdinnen sind also die Ausgegrenzten, sondern sie sind die Ausgrenzer, wird über die Sprache signalisiert. Auch in späteren Folgen, die nicht mehr (tages-)politisch orientiert sind, markiert Kmoch Juden über die Sprache. Kurz vor dem Überfall auf Polen am 28. August 1939 – die antipolnische Propaganda im
polnisch’n Amerikaner, worauf sich der Gestellte sprachlich als Jude (und somit als doppelter, wenn nicht dreifachen Feind) zu erkennen gibt:
Gott der Gerechte ma will mer zerstampf’n!! Gnade, jach bezohl alles!(KB, 13. Jg., Nr. 236, 28. August 1939, S. 9)
Nach ihrem Abstecher beim Völkerbund kehren Seicherl, Schwasser und Struppi nach
Wien zurück und widmen sich nicht mehr der Politik: Seicherl und Schwasser
kaufen einen Gemischtwarenhandel und erleben damit diverse Abenteuer. Kaum ein
halbes Jahr zurück in Wien zieht es Seicherl, Schwasser und Struppi allerdings
wieder in die Welt hinaus. Während in Österreich Fünf Regierungsverordnungen gegen das
Judentum
(KB,
12. Jg., Nr. 313, 13. November 1938, S. 1) erlassen werden, so die
Schlagzeile auf dem Titelblatt des
Auch wenn
Bilder- und Geschichtenarchivs(Stein 2016: 12) spiegelt so auch verschiedene in den 1930er-Jahren aktuelle Diskurse wider, von denen hier das Reisen und das Auto exemplarisch nachvollzogen werden sollen.
Gerade vom Reisen und den Möglichkeiten, die die Entwicklung neuer Transportmittel bieten, ging Anfang des Jahrhunderts eine große Faszination aus. Nicht zuletzt zeugen auch die häufigen Berichte im
Die (spärliche) Forschung zu
post-1848 tourist boom(Kunzle 1990: 225) waren Comicheld:innen auf Reisen europaweit anzutreffen, beispielsweise in
Auch Seicherl und Struppi begeben sich bald unter die Reisenden: Bereits im April
1934 fahren Seicherl und Struppi für einige Folgen nach Abessinien (heute
Äthiopien), um eine Erbschaft anzutreten, und ab Juli 1935 machen sich Seicherl
und Struppi mit der gelegentlichen Begleitung ihres landstreicherischen Freundes
Schwasser endgültig auf in die weite Welt. Mit gelegentlichen Zwischenstopps in
Wien geraten sie von einer Schwierigkeit in die andere, reisen durch Indien,
China, an den Nordpol, quer durch die arabischen Staaten, die USA usw.
Tagespolitische Anspielungen fehlen in diesen Reise-Episoden mit wenigen
Ausnahmen (z. B. wird in der Folge vom 1. Dezember 1935 in Kolombo der
Völkerbund diskutiert, am 13. März 1938 wird auf die verschobene Abstimmung zu
Österreichs Souveränität angespielt). Anlass für die Reisen ist dabei nicht die
Faszination für das Fremde oder eine Form der Abenteuer- oder Entdeckungslust,
wie sie etwa in zeitgenössischen Safari-Filmen, z. B. über ‚Afrika‘, als experience of exploration and
discovery
(Staples 2006: 392) zur Schau gestellt
werden. Ganz im Gegenteil sucht Seicherl (und später Schwasser) sein Glück in
der Ferne zum einen aufgrund einer eher unbestimmten Frustration mit der
Situation in Österreich – die erste Weltreise tritt Seicherl und Struppi etwa
mit dem Ausruf An’s tröst mi: Des war mei
letzter Unfall in den schäbig’n Europa!
(KB, 9. Jg., Nr. 198, 20. Juli 1935,
S.13.) an –, zum anderen, weil sie auf der Flucht vor dem Gesetz sind.
Meist treiben weder Fernweh noch Reisefieber Seicherl und Struppi aus Wien
hinaus, sondern schiere Notwendigkeit. Ihre Reiseroute wird dann auch weniger
von Entdeckergeist bestimmt als von Unfällen, Zufällen und Missgeschicken.
Entsprechend dieser Positionierung personifiziert Seicherl auf seinen Reisen auch
nicht, wie man im zeitlichen Kontext vielleicht erwarten könnte, den überlegenen
Kolonialherren, sondern eher den Fremden, dessen Anwesenheit von den Ansässigen
durchaus kritisch registriert wird. Auch wenn die Angehörigen der entsprechenden
Nationalitäten und Ethnien – für die 1930er-Jahre wenig verwunderlich – sehr
stereotyp dargestellt werden, werden Seicherl, Struppi und Schwasser als ‚die
Weißen‘ immer wieder (vor dem kolonialen Hintergrund durchaus treffend) als
nicht zugehörige Eindringlinge markiert. Im April 1937 etwa, Seicherl und
Schwasser sind inzwischen Mitglieder der Fremdenlegion, kommen sie im Iran an,
was einen der schaulustigen Umstehenden zur – aus der historischen Distanz
beinahe unheimlichen – Äußerung: Die Weiß’n
wer’n net weniger! A Wölltkriag wär scho wöder amol guat!
(KB, 11. Jg., Nr. 114,
25. April 1937, S. 18) veranlasst. Ähnlich kommentieren zwei
Monate später Nilpferde, denen Seicherl und seine Gefährten – inzwischen im
ostafrikanischen Timbuktu (Mali) angekommen – begegnen: Die Zeit’n wer’n immer schlechter! Vurig’s Jahr
war’n die Heuschreck’n so stark und heuer san wieder so viel Weiße!
Ein zweites Nilpferd erwidert: Do war’n ma die
Heuschreck’n no liaber.
(KB 11. Jg., Nr. 152, 4. Juni 1937, S. 10)
Die Anwesenheit der ‚Weißen‘ wird alles andere als wohlwollend aufgenommen,
sondern mit Naturkatastrophen bzw. den zehn biblischen Plagen assoziiert. Das
rekurriert zum einen auf diverse europäische Kolonialmächte, die in Afrika ihr
Unwesen treiben, zum anderen wecken die einfallenden Heuschrecken auch
Assoziationen mit den europäischen Reisenden und Abenteurer:innen, die den
Kontinent Afrika immer mehr für sich entdecken. Die zunehmende Verbreitung des
Autos ermöglichte es diesen Reisenden, Afrika als ‚unbekannten Ort‘ einfacher zu
erforschen und sorgte gleichzeitig für die erste Ausbildung von touristischen
Routen (vgl. Staples 2006: 395).
Gleichzeitig entstanden so durch die Möglichkeiten der sich rasant
weiterentwickelten Filmtechnik Aufnahmen, die exploration narratives from the nineteenth
century […] recycled through new forms of mobility and visuality
(ebd.:
395) wiederaufnahmen und gleichzeitig auch dem interessierten
Kinopublikum zugänglich machten.
1935/36 begaben sich etwa der österreichische Filmemacher Josef Böhmer und seine Frau Hilde auf so eine Unternehmung: Zusammen mit einer sechsköpfigen österreichischen Crew fuhren sie auf Motorrädern mit Beiwagen von Kapstadt nach Kairo und dokumentierten diese Reise im Film
Afrika! – Welche verschiedenartigen Vorstellungen verbinden sich mit diesem Erdteil. Wie romantisch, wie fremd und fern erscheint den meisten Menschen dieser Kontinent; und doch ist er leichter erreichbar als viele wissen. Der Fortschritt der Technik hilft Entfernungen leicht zu überwinden. (Böhmer 1936: 7)
Die Idee, dass ‚Weiße‘ nicht nur als Vertreter:innen von Kolonialmächten, sondern auch als Reisende und Tourist:innen wie Heuschrecken beispielsweise in Afrika einfallen, bezieht sich also ganz unmittelbar auf zeitgenössische Reise- und Darstellungspraxen.
Damit soll natürlich keinesfalls gesagt werden, dass
Very few strips follow the straight patriotic line of the political cartoons; to judge by the comic strips, the political philosophy of the lower middle classes was far from one of uniformly simpleminded jingoism, as has been supposed. Morally and politically, the strips offer a very mixed, often skeptical view of imperialism, which corresponds to the broad spectrum and confusion of opinion among the lower classes generally. As many strips condemn as condone the process. (Kunzle 1990: 298f.)
Ein weiteres Thema, dem sich
Struppi, i mach a Erfindung nach der ander’n. Jetzt hab i a Rasiermaschin mit Dampfantrieb baut. Des is a technisches Wunder!(KB, 8. Jg., Nr. 62, 20. März 1934, S. 13) Ein technisches Wunder, das aber, und das haben die Erfindungen Seicherls gemeinsam, sich verselbstständigt und sich gegen seinen Urheber wendet: Sowohl Rasierapparat als auch die Kleiderklopfmaschine sowie zahlreiche andere Maschinen lassen Seicherl meist lädiert zurück. Keine der Erfindungen und Neuerungen führen zu einer Verbesserung von Seicherls Leben: Sie sind so faszinierend wie gefährlich. Dabei geht der Körper Seicherls nach jeder fatalen Begegnung mit einer seiner Erfindungen oder anderen Unfällen früher oder später auf seinen Ausgangspunkt zurück. Kunzle hat für die Zeichnungen von Wilhelm Busch und Rodolphe Töpffer festgestellt, dass der Körper im Comicstrip sowohl auf externe (wie Maschinen) als auch interne Einflüsse (Gefühle wie Angst, Schock etc.) nicht als anatomischer, sondern als
graphic organism(Kunzle 1990: 356) reagiert:
The body is experienced as machinoid or a machinable substance, and both fear and fascination reside in the artist’s rendering of the body as machined almost beyond recognition.(Ebd.: 357)
Auch in
adventure machine(Krebs 2011: 65), entwickelte es sich in der Zwischenkriegszeit zu einem Nutzgerät für die ganze Familie, für Ausfahrten und Ausflüge (vgl. ebd.).
Auch wenn das Auto immer weiter entwickelt wurde und für die neuen Fahrer:innen
leichter zu handhaben war, war es keineswegs ungefährlich. Der Autounfall war
stets eine Möglichkeit: Now that taking part in
traffic increasingly meant getting involved in a potential accident, the
danger of automobility had to be reassessed, by every novice car
owner.
(Mom 2011: 298) Und wenn der neue Autobesitzer (ein) Seicherl ist,
natürlich umso mehr: Kmoch zeichnet kleinere und größere Autounfälle, bis
Seicherl auf einer Fahrt mit seinem Auto von einer Lokomotive – im wahrsten
Sinne des Wortes – zerrissen
(vgl.
Abb. 6) wird. Eine
Szene, die stark an einen kurzen Film des Regisseurs Cecil Hepworth erinnert,
der in
Diese Schock-Ästhetik in der Darstellung von Autounfällen, sei es fiktional wie
bei Hepworth oder journalistisch etwa in Tageszeitungen, war Anfang des 20.
Jahrhunderts sehr verbreitet und stieß durchaus auf kritische Reaktionen.
Gleichzeitig hat sich in der Darstellung des Autounfalls eine ästhetische Strategie etabliert, die
den Unfall zwar abbildet, ihn jedoch zu Scherz und freilich
kritischer Satire formiert.
(Bickenbach/Stolzke
2014: 24) Gerade in Karikaturen oder dem Comicstrip waren Autounfälle
und die (unkontrolliert) rasenden Fahrer:innen ein häufiges Thema und werden als
Bild für den (politischen oder individuellen) Mangel an
Verantwortungsbewusstsein verwendet (vgl. ebd.: 24f.).
In ‚Seicherl wird von einer Lokomotive zerrissen.‘ muss Struppi nun die einzelnen
Gliedmaßen Seicherls auf der Straße zusammensuchen und transportiert den
sprechenden Haufen aus Seicherl-Teilen zu einem Arzt, der ihn allerdings falsch zusammen[]stellt
(Abb. 7). Der Arzt geht
dabei vor wie ein dilettantischer (Auto-)Mechaniker, der aufs Geratewohl den
Körper wieder zusammensetzt (und dabei das Hirn nicht finden kann).
Während hier der organische Körper zu einem maschinellen wird, der beliebig
zusammengeschraubt werden kann (auch wenn die Funktionalität dadurch mitunter
eingeschränkt wird), geht Kmoch einige Folgen später, am 15. Juli 1935, den
umgekehrten Weg: Seicherl, der daran scheitert, sein Auto endgültig loszuwerden,
entwickelt eine Art Verfolgungswahn. Hybride Auto-Tier/Fabel-Wesen jagen ihn und
lassen nicht von ihm ab (Abb.
8) – ein Szenario, das möglicherweise auch vom Anfang des 20.
Jahrhunderts beliebten
Keineswegs eine neue Assoziation – im Gegenteil ist die Darstellung von Autos als
monströs, teuflisch, dämonisch schon in Texten um 1900 zu finden. Das lärmende
und stinkende Gefährt wurde auf Straßen, die bis dahin Fußgänger:innen, Tieren
und Fuhrwerken vorbehalten gewesen waren, als störend und gefährlich
wahrgenommen. Mit diesem Gefühl der Bedrohung geht aber auch eine starke –
zweischneidige – Faszination für das Auto (und andere technologischen
Neuerungen) einher. Ein Wahn
, wie
Struppi kommentiert, als Seicherl schließlich vom Auto zum Luftschiff übergeht:
Erscht hat er an‘ Autowahn g’habt, jetzt
kriagt er den Luftschiff-Wahn!
(KB, 19. Juli 1935, Nr. 197, 9. Jg. , S. 13)
Um die Wahnvorstellungen wieder loszuwerden, wird Seicherl am 15. Juli 1935
schließlich der Kopf gereinigt
: Unglaublich, Glasscherb’n und rostige Schraub’n
hat er aa im Kopf.
Woraus Struppi gleich den Schluss zieht: Des is no vom Auto-Unfall!
(KB 9. Jg., Nr. 193, 15.
Juli 1935, S. 4.) Der ‚Autowahn‘ hat sich im Körper Seicherls
festgesetzt und muss operativ entfernt werden.
In der Erzählung von Seicherl und seinem Auto wird so zum einen die als unvorsichtig und gefährlich inszenierte Technikbegeisterung in den menschlichen Körper hinein gezeichnet, zum anderen wird die Ambivalenz der Diskussionen um den mechanischen Körper des Autos durch die Verbindung mit visuellen Monstern sichtbar. Kmoch setzt hier ganz im Sinne von Kunzles ‚grafischem Organismus‘ innere Vorgänge und Momente der gesellschaftlichen Diskussion in visuellen Körpern um.