Wie kontrovers ist die OeZG?
Ernst Langthaler
Ohne Kritik keine Geschichtswissenschaft. Kritik am historischen Mainstream wurde in der OeZG von Anfang an großgeschrieben. Das Leitmotiv lautete „Geschichte neu schreiben“, so der erste Hefttitel. Bald entbrannten Kontroversen: zwischen den Wirtschaftshistorikern Herman Rebel (in OeZG 1/1993) und John Komlos (in OeZG 1/1994), dem Autor von "Nutrition and Economic Development in the Eighteenth-Century Habsburg Monarchy: An Anthropometric History" (1989) (Erwiderungen siehe hier und hier), und zwischen der OeZG-Redaktion (in OeZG 1/1995) und dem Zeithistoriker Ernst Hanisch, dem Autor von "Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert" (1994).
Beide Kontroversen eskalierten zum polemischen Schlagabtausch. Die Eskalation folgte aus Rangkämpfen im akademischen Feld: zwischen Wortführern unterschiedlicher Denkschulen im ersten Fall, zwischen der Assistenten- und Professorengeneration im zweiten Fall. Im Ringen um symbolisches Kapital suchten die Kritisierten die Kritik zu entlegitimieren: Komlos gab den Oberlehrer und erteilte dem „Rebel(len)“ "Vierundzwanzig Lektionen in geschichtswissenschaftlicher Rezension". Hanisch sah sich als Beschuldigter vor der Inquisition und schwang eine Verteidigungsrede in der "Anklagesache: Österreichische Gesellschaftsgeschichte".
Danach verschwand der offene Schlagabtausch aus der OeZG. Zwar bot Österreichs „Millennium“ 1996 Anlass für kritische Aufschläge (siehe hier und hier), die jedoch nicht mit Gegenkritik pariert wurden. Einerseits verlagerten sich Kontroversen mit fortschreitender Digitalisierung in schnellere Online-Medien. Andererseits rieb sich die Zeitschrift fortan weniger am historischen Mainstream und erkundete interdisziplinäre Innovationsfelder. Damit ist der OeZG die Kritik nicht abhandengekommen. Doch der pubertär anmutende Ton früherer Jahre fehlt – vielleicht auch deshalb, weil die OeZG erwachsen geworden ist.