Die OeZG "an der Wiege" der Neueren Kulturgeschichte und der Kulturwissenschaften
Regina Thumser-Wöhs
William H. Sewell bezeichnete das 1999 noch bestehende Chaos um die Begrifflichkeiten von Kulturgeschichte und Kulturwissenschaft/en als „cacophony of contemporary discourse about culture“. Es geht im Folgenden nicht um die Diskussion des Begriffs Kultur, wenngleich Einigkeit darüber bestehen sollte, dass dieser in der OeZG weit über die „Opernhaus-Konzeption“ (Roy Wagner) hinausgeht. Als Kriterium für meine Auseinandersetzung habe ich die Begriffe Turn bzw. Kultur/Culture an die seit 1990 erschienenen Titeln angelegt.
Als eines der ersten Hefte geriet demnach "Wende welcher Geschichte?" (1/1991) in meinen Fokus, in dem es aber nicht, wie geargwöhnt, um Turns ging, sondern um den Osten der OeZG. "Kultur suchen, wo sie gelebt wird" (2/1991) war ein erster Schritt der OeZG in Richtung kulturhistorischer Perspektivierungen, wenngleich ein 'offenes Heft', dem man retrospektiv gerne – in Anlehnung an "Volkskultur 2.0" (2/2016) – den Titel "Volkskultur 1.0" 'umhängen' würde.
Das Heft "Urban Cultures" (1/2001) schenkt dem 'Ort' unter Berücksichtigung der Diskurse der Cultural Studies Beachtung und bezieht die Populär- und Gegenkulturen, insbesondere "einer Welt suburbaner Isotope", mit ein. Die "Musik Kulturen" (1/2003) konnten die Anforderung eines kulturwissenschaftlichen Zugangs der Musikgeschichte/-wissenschaft respektive eines 'transdisziplinären' Zugangs der Kulturwissenschaft/Cultural Studies zur Musik (noch) nicht erfüllen; zurecht schließt der Band mit dem Halbsatz, selbiger stehe "auf der Agenda". Dies aufzugreifen böte meines Erachtens Potential für ein neues, der Musik gewidmetes OeZG-Heft.
"Jugendkulturen" (4/1995) war stärker kultursoziologisch denn kulturwissenschaftlich verortet, und "Kulturen der Krankheit" (3/1996) versuchte mittels Medikalisierungsdebatte (Foucault), einen neuen Trend in der Medizingeschichtsschreibung einzuleiten. Eine Auseinandersetzung mit dem 'Kulturwissenschaftlichen' pflegte zuletzt das Heft "Kulturgeschichten" (2/2012). Reinhard Sieder nahm im Editorial Bezug auf die Turns und verwies auf die OeZG-Bände "Klios Texte" (1993/3), "Kultur und Geschichte" (2002/2), "Bodies/Politics" (2004/1) oder "Das Gerede vom Diskurs – Diskursanalyse und Geschichte" (2005/4). Zu Beginn der 2020er-Jahre wäre ein Blick auf die Weiterentwicklung kulturwissenschaftlicher Theorien und Modelle, insbesondere auf die Re-Turns als "disziplinäre und gesellschaftliche Rückverortungen" (Doris Bachmann-Medick), durchaus eine reizvolle Aufgabe für die OeZG.