Call 3/2025: Handlungsorientierte Medienpädagogik
MEDIENIMPULSE Call 03/2025
Handlungsorientierte Medienpädagogik
Alessandro Barberi
Florian Danhel
Seit ihren Anfängen versteht sich die Medienpädagogik nicht nur als Theorie- und Reflexionsdisziplin, sondern immer auch als Praxisfeld der Nutzung und Gestaltung von und mit Medien. Insbesondere die Handlungsorientierte Medienpädagogik hat dabei schon in den 1970er-Jahren – angesichts von Telefonie, Radio, Fernsehen und Kinematografie – den Anspruch vertreten, Menschen zur kritischen, aktiven, kreativen und reflexiven Mediennutzung und -gestaltung zu befähigen.
Die Idee, dass Bildung durch Handeln entsteht, knüpft an zentrale Konzepte reformpädagogischer und konstruktivistischer Didaktiken an und entspricht dabei auch en gros den großen Theoriearchitekturen der Geistes-, Sozial- und Medienwissenschaften. Denn schlussendlich kommt keine (medien-)theoretische Modellierung ohne einen Rekurs auf Handlungen und d. h. immer auch Praktiken aus. Ob in der Projektarbeit, in aktiven Gestaltungsprozessen oder in gesellschaftlich relevanten Formen medialer Partizipation: Handlungsorientierte Ansätze stellen nicht nur den Erwerb von Medienkompetenz in den Mittelpunkt, sondern zielen auch darauf ab, Menschen in ihrer konkreten Tätigkeit zu befähigen, Medien bewusst zu nutzen und gestaltend in (gesellschaftliche und politische) Kommunikationsprozesse einzugreifen. Damit trägt die Handlungsorientierte Medienpädagogik auch auf allen Ebenen den emanzipatorischen Bestand der Aufklärung weiter und erhebt den Anspruch, dass gesellschaftliche Feld durchgängig auf Handlungen, Handlungstheorien und Praktiken beziehen zu können.
Auch Medienkritik erhält durch handlungsorientierte Zugänge eine besondere Relevanz. Wer Medieninhalte nicht nur analysiert, sondern – z. B. in Schulklassen, Makerlabs oder am eigenen PC – selbst erstellt, erfährt unmittelbar, welche Strukturen, Normen und Ideologien mediale Kommunikation prägen und welche Freiheitsgrade den Individuen angesichts von harten Systembedingungen bleiben. Handlungsorientierung kann somit als Mittel zur Förderung von Medienkritik im Sinne einer kritisch-emanzipatorischen Medienbildung verstanden werden und betont die „praxeologische“ Autonomie der Menschen angesichts von (scheinbar) determinierenden Strukturgegebenheiten.
Im Blick auf die tiefgreifenden materiellen Mediatisierungsprozesse unserer Gegenwart – z. B. Social Media, Künstliche Intelligenz (KI), Automatisierung der Arbeits- und Lebenswelten etc. – und der Ubiquität digitaler Medien erscheint es dringlich geboten, medienpädagogische Konzepte zu entwickeln, die (junge) Menschen bei ihrer Medienaneignung aktiv unterstützen. Medienaneignung ist ein ganzheitlicher Prozess, der beispielsweise die Fähigkeit umfasst, die Qualität medialer Informationen kritisch zu beurteilen, sowie die Kompetenz, digitale Kommunikationsräume und mediale Öffentlichkeiten aktiv mitzugestalten. Handlungsorientierte Zugänge ermöglichen genau diese umfassende Perspektive auf Medienbildung: Sie binden Subjekte in reale, soziale und kommunikative Handlungskontexte ein und eröffnen Räume, in denen Handeln erlernt und als selbstwirksam erlebt wird. Erst dadurch wird es möglich, Kreativität und Subjektivität in einem gegebenen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext zu entfalten und mithin freizusetzen.
Daraus ergibt sich ein pragmati(stisch)es Verständnis von Medienbildung, das sich nicht auf instrumentelle Medienkompetenz reduzieren lässt. Vielmehr geht es um eine kritisch-emanzipatorische Perspektive, die auf reflexive, kreative und soziale Dimensionen des Medienhandelns abzielt und die „Singularität der Handelnden“ (Pierre Bourdieu) wie die „Spontaneität des Menschen“ (Dieter Baacke) in den medientheoretischen und vor allem medienpraktischen Mittelpunkt rückt.
Dennoch bleibt zu fragen, wie sich Handlungsorientierung in der Medienpädagogik unter den Bedingungen gegenwärtiger Mediatisierungs- und Digitalisierungsprozesse konkret ausgestaltet und wie sie theoretisch und praktisch weiterentwickelt werden kann. Denn gerade angesichts der Dritten Industriellen Revolution von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) stellt sich erneut die Frage nach den materiellen medialen Infrastrukturen und ihrem Verhältnis zur menschlichen Handlungsfähigkeit. Zwischen Handlung und Struktur, Freiheit und Determination oder Autonomie und Heteronomie situiert sich mithin der medientheoretische und -praktische Ausgangspunkt unseres Schwerpunkthefts.
Mit dem Call zur Ausgabe 03/2025 der MEDIENIMPULSE unter dem Titel „Handlungsorientierte Medienpädagogik“ laden wir deshalb dazu ein, dieses Spannungsfeld theoretisch und praktisch zu erkunden. Wir freuen uns auf Beiträge, die (medien-)praktisch aufzeigen, wie handlungsorientierte Konzepte in unterschiedlichen pädagogischen Kontexten umgesetzt werden und welche Bedeutung dabei Reflexion, Kritik und Gestaltung zukommt. Dabei sind auch Beiträge sehr willkommen, die sich (medien-)theoretisch um die dafür notwendigen Handlungskonzepte kümmern wollen.
Relevante Fragen können unter anderem sein:
- Welche Konzepte und Formate der handlungsorientierten Medienpädagogik haben sich in Schule, Jugendarbeit oder Erwachsenenbildung bewährt?
- In welchen institutionellen Rahmenbedingungen (Schule, Offene Jugendarbeit, Hochschule) gelingt handlungsorientierte Medienpädagogik besonders gut – und wo liegen strukturelle Hürden?
- Inwiefern kann Handlungsorientierung ein Motor für kritische Medienreflexion und -kritik sein und wie kann durch partizipative Medienprojekte ein Beitrag zur demokratischen Bildung und Meinungsvielfalt geleistet werden?
- Wie können Projekte zur aktiven Medienarbeit systematisch mit Medienkritik verknüpft werden?
- Welche Herausforderungen bestehen bei der Umsetzung handlungsorientierter Medienbildung in digitalen Räumen?
- Welchen theoretischen Rahmen können wir angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands zur Handlungstheorie in die Praxis umsetzen?
- Wie haben bisherige Theoriearchitekturen (Praxeologie, Diskursanalyse, Theorie des kommunikativen Handelns, Pragmatismus, Marxismus etc.) Handeln und Praktiken konzipiert und welche Aspekte davon lassen sich medienpraktisch umsetzen?
Die Herausgeber/innen dieser Schwerpunktausgabe sind
Alessandro Barberi
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg / Universität Wien
alessandro.barberi@medienimpulse.at
Florian Danhel
Pädagogische Hochschule Wien
florian.danhel@medienimpulse.at
florian.danhel@phwien.ac.at
Auswahlbibliografie
Baacke, Dieter (1973): Kommunikation und Kompetenz: Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien, Weinheim/München: Juventa.
Baacke, Dieter (1992). Handlungsorientierte Medienpädagogik, in: Schill, Wolfgang/Tulodziecki, Gerhard/Wagner, Wolf-Rüdiger: Medienpädagogisches Handeln in der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95929-4_3
Barberi, Alessandro/Iske, Stefan (2023): Zur „Spontaneität des Menschen“: Sprachphilosophische und anthropologische Grundlagen der Medienpädagogik in Dieter Baackes „Kommunikation und Kompetenz“, in: Ludwigsburger Beiträge Zur Medienpädagogik, 23, 1–20. https://doi.org/10.21240/lbzm/23/03
Bernstein, Richard J. (1971): Praxis and Action. Contemporary Philosophies of Human Acitivity, Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
Bourdieu, Pierre (1979): Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Foucault, Michel (1981): Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Gramsci, Antonio (1995): Philosophie der Praxis. Gefängnishefte 10 und 11, hrsg. von Wolfgang Fritz Haug unter Mitwirkung von Klaus Bochmann, Peter Jehle und Gerhard Kuck, Ham-burg: Argument.
Habermas, Jürgen (1995): Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bände, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kergel, David (2023): Medienpädagogik, Wiesbaden: Springer VS.
Knaus, Thomas/Schmidt, Jennifer/Merz, Olga (2023): Aktive Medienarbeit als Vorbild. Handlungsorientierte Ansätze zur Förderung einer um digitaltechnische Dimensionen erweiterten Medienbildung, in: Medien + Erziehung, 67 (2023), 42–49. https://doi.org/10.25656/01:26533
Schorb, Bernd (2022). Handlungsorientierte Medienpädagogik, in: Sander, Uwe/von Gross, Friederike/Hugger, Kai-Uwe: Handbuch Medienpädagogik. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23578-9_6
Süss, Daniel/Lampert, Claudia/Trueltzsch-Wijnen, Christine (2018): Medienpädagogik: ein Studienbuch zur Einführung, Wiesbaden: Springer VS.
Einreichung der Artikel
Bitte reichen Sie Ihre Beiträge auf unserer Homepage über das Redaktionssystem unter folgendem Link ein:
https://journals.univie.ac.at/index.php/mp/about/submissions
Umfang der Beiträge im Bereich Schwerpunkt: 20.000–45.000 Zeichen. Falls Ihr Beitrag ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen soll, reichen Sie ihn bitte bis zum 15. August 2025 ein. Beiträge ohne Peer-Review-Verfahren können bis zum 21. August 2025 eingereicht werden. Erscheinungstermin dieser Ausgabe ist der 21. September 2025.
Neben der thematischen Schwerpunktsetzung können Beiträge für alle Ressorts der MEDIENIMPULSE eingereicht werden. Beiträge, die ein Peer Review-Verfahren durchlaufen haben, werden durch einen eigenen Vermerk kenntlich gemacht.
Wir freuen uns auf Ihre Einreichungen und stehen selbstverständlich gerne für eventuelle Rückfragen zur Verfügung!
- Redaktionsschluss: 15. August 2025
- Erscheinungsdatum: 21. September 2025
___________________________________________________________________
English Version
MEDIENIMPULSE Call 03/2025
Action-orientated media education
Alessandro Barberi
Florian Danhel
Since its beginnings, media education has seen itself not only as a theoretical and reflective discipline, but also as a practical field of the use and design of and with media. As early as the 1970s, action-oriented media education in particular - in the face of telephony, radio, television and cinematography – claimed to enable people to use and design media critically, actively, creatively and reflexively. The idea that education comes about through action ties in with central concepts of reform pedagogy and constructivist didactics and is also broadly in line with the major theoretical architectures of the humanities, social sciences and media studies. Ultimately, no (media) theoretical modelling can do without recourse to actions and, in other words, practices. Whether in project work, in active design processes or in socially relevant forms of media participation: action-oriented approaches not only focus on the acquisition of media skills, but also aim to enable people in their specific activities to use media consciously and to intervene in (social and political) communication processes in a creative way. In this way, action-orientated media education also carries on the emancipatory legacy of the Enlightenment at all levels and claims to be able to consistently relate the social field to actions, theories of action and practices.
Media criticism also gains particular relevance through action-orientated approaches. Anyone who not only analyses media content, but also creates it themselves - e.g. in school classes, maker labs or on their own PC - learns directly which structures, norms and ideologies shape media communication and which degrees of freedom remain for individuals in the face of harsh system conditions. Action orientation can thus be understood as a means of promoting media criticism in the sense of critical-emancipatory media education and emphasises the “praxeological” autonomy of people in the face of (seemingly) determining structural conditions.
In view of the far-reaching material mediatisation processes of our present day - e.g. social media, artificial intelligence (AI), automation of working and living environments, etc. - and the ubiquity of digital media, it seems urgently necessary to develop media education concepts that actively support (young) people in their media appropriation. Media appropriation is a holistic process that includes, for example, the ability to critically assess the quality of media information and the competence to actively shape digital communication spaces and media public spheres. Action-orientated approaches enable precisely this comprehensive perspective on media education: they integrate subjects into real, social and communicative action contexts and open up spaces in which action is learned and experienced as self-effective. Only in this way is it possible to develop and thus release creativity and subjectivity in a given social and cultural context.
This results in a pragmatic understanding of media education that cannot be reduced to instrumental media skills. Rather, it is about a critical-emancipatory perspective that focuses on the reflexive, creative and social dimensions of media action and places the “singularity of the actor” (Pierre Bourdieu) and the “spontaneity of man” (Dieter Baacke) at the centre of media theory and, above all, media practice.
Nevertheless, the question remains as to how action orientation in media education can be shaped in concrete terms under the conditions of current mediatisation and digitalisation processes and how it can be further developed theoretically and practically. Especially in view of the third industrial revolution of information and communication technologies (ICT), the question of material media infrastructures and their relationship to human agency arises once again. The media theoretical and practical starting point of our special issue is thus situated between action and structure, freedom and determination or autonomy and heteronomy.
With the call for papers for issue 03/2025 of MEDIENIMPULSE, entitled “Action-orientated media education”, we therefore invite you to explore this area of tension both theoretically and practically. We look forward to contributions that demonstrate in (media) practice how action-oriented concepts are implemented in different pedagogical contexts and the importance of reflection, criticism and design. Contributions are also very welcome that deal with the (media) theoretical aspects of the necessary action concepts.
Relevant questions may include
- Which concepts and formats of action-orientated media education have proven successful in schools, youth work or adult education?
- In which institutional settings (schools, open youth work, universities) is action-orientated media education particularly successful - and where are the structural hurdles?
- To what extent can action-orientation be a motor for critical media reflection and criticism and how can participatory media projects contribute to democratic education and diversity of opinion?
- How can projects for active media work be systematically linked to media criticism?
- What challenges exist in the realisation of action-oriented media education in digital spaces?
- What theoretical framework can we put into practice given the current state of research on action theory?
- How have previous theoretical architectures (praxeology, discourse analysis, theory of communicative action, pragmatism, Marxism, etc.) conceptualised action and practices and which aspects of these can be implemented in media practice?
The editors of this special issue are
Alessandro Barberi
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg / Universität Wien
alessandro.barberi@medienimpulse.at
Florian Danhel
Pädagogische Hochschule Wien
florian.danhel@medienimpulse.at
florian.danhel@phwien.ac.at
Selected bibliography
Baacke, Dieter (1973): Kommunikation und Kompetenz: Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien, Weinheim/München: Juventa.
Baacke, Dieter (1992). Action-orientated media education, in: Schill, Wolfgang/Tulodziecki, Gerhard/Wagner, Wolf-Rüdiger: Medienpädagogisches Handeln in der Schule, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95929-4_3
Barberi, Alessandro/Iske, Stefan (2023): Zur „Spontaneität des Menschen“: Sprachphilosophische und anthropologische Grundlagen der Medienpädagogik in Dieter Baackes „Kommunikation und Kompetenz“, in: Ludwigsburger Beiträge Zur Medienpädagogik, 23, 1-20. https://doi.org/10.21240/lbzm/23/03
Bernstein, Richard J. (1971): Praxis and Action. Contemporary Philosophies of Human Acitivity, Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
Bourdieu, Pierre (1979): Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Foucault, Michel (1981): Archaeology of Knowledge, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Gramsci, Antonio (1995): Philosophy of Practice. Gefängnishefte 10 und 11, ed. by Wolfgang Fritz Haug with the co-operation of Klaus Bochmann, Peter Jehle and Gerhard Kuck, Hamburg: Argument.
Habermas, Jürgen (1995): Theorie des kommunikativen Handelns, 2 vols, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kergel, David (2023): Medienpädagogik, Wiesbaden: Springer VS.
Knaus, Thomas/Schmidt, Jennifer/Merz, Olga (2023): Active media work as a role model. Action-oriented approaches to promoting media education expanded to include digital technology dimensions, in: Medien + Erziehung, 67 (2023), 42-49. https://doi.org/10.25656/01:26533
Schorb, Bernd (2022). Action-orientated media education, in: Sander, Uwe/von Gross, Friederike/Hugger, Kai-Uwe: Handbuch Medienpädagogik. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23578-9_6
Süss, Daniel/Lampert, Claudia/Trueltzsch-Wijnen, Christine (2018): Medienpädagogik: ein Studienbuch zur Einführung, Wiesbaden: Springer VS.
Submission of articles
Please submit your articles on our homepage via the editorial system using the following link:
https://journals.univie.ac.at/index.php/mp/about/submissions
Length of contributions in the specialisation section: 20,000-45,000 characters. If your article is to undergo a peer review process, please submit it by 15 August 2025. Contributions without peer review can be submitted until 21 August 2025. The publication date of this issue is 21 September 2025.
In addition to the thematic focus, contributions can be submitted for all sections of MEDIENIMPULSE. Contributions that have undergone a peer review process will be identified by a separate note.
We look forward to receiving your submissions and will of course be happy to answer any questions you may have!
- Editorial deadline: 15 August 2025
- Publication date: 21 September 2025