Call 4/2025: Digitaler Kapitalismus
MEDIENIMPULSE Call 04/2025
Digitaler Kapitalismus
Alessandro Barberi
Petra Paterno
Der Digitale Kapitalismus ist ein Forschungsfeld, dessen Konturen sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Siegeszug des Internets, dem Ausbau des Informationsmarkts (Kuhlen 1995) und dem Aufstieg marktbeherrschender Plattformen wie Google, Amazon oder Facebook deutlicher herausgebildet haben (Staab 2018). Während digitale Technologien bereits seit Langem ökonomische Prozesse und vor allem Finanzmärkte beeinflussen, wurde die spezifische Dynamik eines genuin Digitalen Kapitalismus erst durch die zunehmende Bedeutung datenbasierter Geschäftsmodelle, algorithmischer Steuerung und globaler Vernetzung sichtbar (Baacke 1996), die auch an der „Ideologie der Werbekörper“ im Blick auf Influencer*innen deutlich wird (Nymoen/Schmidt 2021). Diese Entwicklungen greifen tief in gesellschaftliche Machtverhältnisse, Arbeitsstrukturen und Teilhabechancen ein und sind Gegenstand aktueller wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Debatten, wie nicht zuletzt mit den Diskussionen zum Digitalen Humanismus deutlich wurde (Werthner et al. 2019).
So brachte die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff (2018) mit dem Begriff „Überwachungskapitalismus“ eine Marktlogik auf den Punkt, in der Unternehmen persönliche Daten als Rohstoff nutzen, um Verhalten vorherzusagen, zu steuern und daraus Profite zu schlagen. Dass es dabei um bedenkliche Formen der (digitalen) Überwachung und Kontrolle im Zeitalter der Simulation geht, wurde davor auch in Frankreich an prominenter Stelle diskutiert (Foucault 1977; Baudrillard 1982; Deleuze 1993). Die Soziologin Sabine Pfeiffer (2021) hob des Weiteren hervor, dass der Digitale Kapitalismus in der Geschwindigkeit, Effizienz und scheinbaren Risikolosigkeit der Wertabschöpfung liegt. Sie bezeichnet Digitalisierung – durchaus in Erinnerung an Karl Marx (1968) und den Gegensatz von Kapital und Arbeit – als „Distributivkraft“. Der Medientheoretiker Christian Fuchs (2023) wiederum versteht diese Entwicklung als Ausprägung einer kapitalistischen Gesellschaft, in der digitale Technologien, Plattformen und Datenarbeit zu weiteren Formen von Ausbeutung, Entfremdung und Ideologie führen, die einer kritischen Analyse bedürfen und durch gemeinwohlorientierte Alternativen wie Wikipedia ersetzt werden könnten.
Die Medienpädagogik steht angesichts dieser Dynamiken vor der Herausforderung, diese nicht nur zu analysieren, sondern auch aktiv zu begleiten: Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Menschen in einer von Plattformlogiken, Datenökonomien und algorithmisch gesteuerten Kommunikationsräumen geprägten Welt zu Mündigkeit, Reflexion und gesellschaftlicher Teilhabe befähigt werden können (Niesyto 2017; Dander et al. 2024).
Gerade in diesem Kontext zeigt sich die bleibende Bedeutung der Aufklärung (Kant 1998; Horkheimer/Adorno 1988): Sie fordert dazu auf, (mediale) Strukturen zu durchschauen und eigenständig zu urteilen – Kompetenzen, die angesichts der Machtkonzentration und Intransparenz digitaler Prozesse und des mit ihnen verbundenen neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit (Habermas 2022) heute dringlicher denn je sind. Medienpädagogik kann hier Räume etablieren, in denen Menschen digitale Technologien medienkritisch reflektieren, ihre Handlungsspielräume erkennen und digitale Öffentlichkeiten aktiv mitgestalten.
Mit dem Call zur Ausgabe 04/2025 der MEDIENIMPULSE unter dem Titel „Digitaler Kapitalismus“ laden wir dazu ein, neuartige Perspektiven auf das Verhältnis von digitalem Kapitalismus, Aufklärung und Medienpädagogik zu entwickeln. Besonders freuen wir uns auf Beiträge, die interdisziplinäre Ansätze verfolgen, gesellschaftliche Verantwortung in den Mittelpunkt stellen und innovative Wege für eine emanzipatorische und demokratische Medienbildung im digitalen Zeitalter aufzeigen – ob theoretisch, empirisch oder praxisorientiert.
Relevante Fragen können unter anderem sein:
- Wie genau funktioniert der Digitale Kapitalismus auf globaler und lokaler Ebene?
- Inwiefern kann Medienpädagogik zur Aufklärung über Funktionsweisen, Ideologien und Machtstrukturen des Digitalen Kapitalismus beitragen?
- Wie kann Medienpädagogik dabei nützlich sein, die Eigentumsstrukturen und Interessen des Digitalen Kapitalismus transparent zu machen?
- Wie beeinflusst der Digitale Kapitalismus die Bedingungen und Ziele von Medienpädagogik?
- Welche Rolle spielen Digitalisierung und Algorithmisierung in konkreten Sozialisations- und Bildungsprozessen unter besonderer Berücksichtigung medienpädagogischer Modelle und Fragestellungen?
- Wie kann Medienbildung demokratische Teilhabe, offene Diskussionskultur und soziale Gerechtigkeit im digitalen Zeitalter fördern?
- Welche ökonomischen Alternativen bieten sich angesichts des Digitalen Kapitalismus an, wenn wir etwa an Open Source, Creative Commons oder Common Wealth denken?
- Und wie ließen sich diese Alternativen individuell und kollektiv organisieren, um wirksam zu werden?
Die Herausgeber/innen dieser Schwerpunktausgabe sind
Alessandro Barberi
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg / Universität Wien
alessandro.barberi@medienimpulse.at
Petra Paterno
Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Wohnen und Sport
petra.paterno@medienimpulse.at
Auswahlbibliografie
Baacke, Dieter (1996): Medienkompetenz als Netzwerk. Reichweite und Fokussierung eines Begriffs, der Konjunktur hat, in: medien praktisch, 20. Jg., Heft 7/8, 1996, 4–10.
Baudrillard, Jean (1982): Der symbolische Tausch und der Tod, München: Matthes & Seitz.
Dander, Valentin/Grünberger, Nina/Niesyto, Horst/Pohlmann, Horst Pohlmann (Hg.): Bildung und digitaler Kapitalismus, München: kopaed. 2024.
Deleuze, Gilles (1993): Postskriptum über Kontrollgesellschaften, in: ders.: Unterhandlungen. 1972–1990, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 254–261, online unter: http://www.formatlabor.net/nds/Deleuze-Postskriptum.pdf (letzter Zugriff: 20.08.2023).
Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Fuchs, Christian (2023): Der digitale Kapitalismus. Arbeit, Entfremdung und Ideologie im Informationszeitalter. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Habermas, Jürgen (2022): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Berlin: Suhrkamp.
Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1988): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kant, Immanuel (1998a): Kritik der reinen Vernunft, in: Weischedel, Wilhelm (Hg.): Immanuel Kant. Werke in sechs Bänden, Band II, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Kuhlen, Rainer (1995): Informationsmarkt – Chancen und Risiken der Kommerzialisierung von Wissen, Konstanz: Universitätsverlag Konstanz.
Marx, Karl (1968): Das Kapital. Band 1, MEW 23, Berlin: Dietz.Nymoen, Ole/Schmitt Wolfgang M. (2021): Influencer. Die Ideologie der Werbekörper, Berlin: Suhrkamp.
Niesyto, Horst (2017): Medienpädagogik und digitaler Kapitalismus. Für die Stärkung einer gesellschafts- und medienkritischen Perspektive, in: MedienPädagogik 27, 1–29. https://doi.org/10.21240/mpaed/27/2017.01.13.X
Pfeiffer, Sabine (2021): Digitalisierung als Distributivkraft, Bielefeld: transciot, online unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5422-6/digitalisierung-als-distributivkraft/?number=978-3-8394-5422-0 (letzter Zugriff: 10.06.2025).
Staab, Philipp (2019): Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit. Berlin: Suhrkamp.
Werthner, Hannes/Lee, Edward A./Akkermans, Hans/Vardi, Moshe et al. (2019): Wiener Manifest für Digitalen Humanismus. online unter: https://www.informatik.tuwien.ac.at/dighum/wp-content/uploads/2019/07/Vienna_Manifesto_on_Digital_Humanism_DE.pdf (letzter Zugriff: 20.08.2023).
Zuboff, Shoshana (2018): Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Frankfurt/New York: Campus.
Einreichung der Artikel
Bitte reichen Sie Ihre Beiträge auf unserer Homepage über das Redaktionssystem unter folgendem Link ein:
https://journals.univie.ac.at/index.php/mp/about/submissions
Umfang der Beiträge im Bereich Schwerpunkt: 20.000–45.000 Zeichen (bitte nicht überschreiten). Falls Ihr Beitrag ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen soll, reichen Sie ihn bitte bis zum 15. November 2025 ein. Beiträge ohne Peer-Review-Verfahren können bis zum 21. November 2025 eingereicht werden. Erscheinungstermin dieser Ausgabe ist der 21. Dezember 2025.
Neben der thematischen Schwerpunktsetzung können Beiträge für alle Ressorts der MEDIENIMPULSE eingereicht werden. Beiträge, die ein Peer Review-Verfahren durchlaufen haben, werden durch einen eigenen Vermerk kenntlich gemacht.
Wir freuen uns auf Ihre Einreichungen und stehen selbstverständlich gerne für eventuelle Rückfragen zur Verfügung!
- Redaktionsschluss: November 2025
- Erscheinungsdatum: Dezember 2025
________________________________________________________________
English Version
MEDIENIMPULSE Call 04/2025
Digital capitalism
Alessandro Barberi
Petra Paterno
Digital capitalism is a field of research whose contours have become clearer since the second half of the 20th century with the triumph of the internet, the expansion of the information market (Kuhlen 1995) and the rise of market-dominating platforms such as Google, Amazon and Facebook (Staab 2018). While digital technologies have been influencing economic processes and, above all, financial markets for a long time, the specific dynamics of a genuinely digital capitalism have only become visible through the increasing importance of data-based business models, algorithmic control and global networking (Baacke 1996), which is also evident in the “ideology of advertising bodies” with regard to influencers (Nymoen/Schmidt 2021). These developments have a profound impact on social power relations, labour structures and opportunities for participation and are the subject of current academic, social and political debates, as has become clear not least in the discussions on digital humanism (Werthner et al. 2019).
US economist Shoshana Zuboff (2018), for example, used the term “surveillance capitalism2 to describe a market logic in which companies use personal data as a raw material to predict and control behaviour and make profits from it. The fact that this involves questionable forms of (digital) surveillance and control in the age of simulation has also been discussed prominently in France (Foucault 1977; Baudrillard 1982; Deleuze 1993). The sociologist Sabine Pfeiffer (2021) also emphasised that digital capitalism lies in the speed, efficiency and apparent absence of risk in the extraction of value. She describes digitalisation as a “distributive force” - reminiscent of Karl Marx (1968) and the contrast between capital and labour. Media theorist Christian Fuchs (2023), on the other hand, sees this development as a manifestation of a capitalist society in which digital technologies, platforms and data work lead to further forms of exploitation, alienation and ideology that require critical analysis and should be challenged by alternatives that are oriented towards the common good, such as Wikipedia.
In view of these dynamics, media education is faced with the challenge of not only analysing them, but also actively supporting them: The focus is on the question of how people can be empowered to be mature, reflect and participate in society in a world characterised by platform logics, data economies and algorithmically controlled communication spaces (Niesyto 2017; Dander et al. 2024).
It is precisely in this context that the enduring significance of the Enlightenment (Kant 1998; Horkheimer/Adorno 1988) becomes apparent: it calls on people to see through (media) structures and make independent judgements - skills that are more urgent than ever today in view of the concentration of power and lack of transparency of digital processes and the new structural change in the public sphere associated with them (Habermas 2022). Media education can establish spaces in which people can reflect critically on digital technologies, recognise their scope for action and actively shape digital public spheres.
With the call for the 04/2025 issue of MEDIENIMPULSE entitled “Digital Capitalism”, we invite you to develop new perspectives on the relationship between digital capitalism, enlightenment and media education. We are particularly looking forward to contributions that pursue interdisciplinary approaches, focus on social responsibility and show innovative ways for emancipatory and democratic media education in the digital age - whether theoretical, empirical or practice-orientated.
Relevant questions may include:
- How exactly does digital capitalism work on a global and local level?
- To what extent can media education contribute to clarifying the workings, ideologies and power structures of digital capitalism?
- How can media education be useful in making the ownership structures and interests of digital capitalism transparent?
- How does digital capitalism influence the conditions and goals of media education?
- What role do digitalisation and algorithmisation play in concrete socialisation and educational processes, taking particular account of media education models and questions?
- How can media education promote democratic participation, an open culture of discussion and social justice in the digital age?
- What economic alternatives are available in the face of digital capitalism, for example when we think of open source, creative commons or common wealth?
- And how can these alternatives be organised individually and collectively in order to become effective?
The editors of this special issue are
Alessandro Barberi
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg / Universität Wien
alessandro.barberi@medienimpulse.at
Petra Paterno
Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Wohnen und Sport
petra.paterno@medienimpulse.at
Selected bibliography
Baacke, Dieter (1996): Media literacy as a network. Scope and focussing of a concept that is booming, in: medien praktisch, 20. Jg., Heft 7/8, 1996, 4-10.
Baudrillard, Jean (1982): Der symbolische Tausch und der Tod, München: Matthes & Seitz.
Dander, Valentin/Grünberger, Nina/Niesyto, Horst/Pohlmann, Horst Pohlmann (eds.): Bildung und digitaler Kapitalismus, Munich: kopaed. 2024.
Deleuze, Gilles (1993): Postscript on Societies of Control, in: Unterhandlungen. 1972-1990, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 254-261, online at: http://www.formatlabor.net/nds/Deleuze-Postskriptum.pdf (last accessed: 20.08.2023).
Foucault, Michel (1977): Surveillance and Punishment: The Birth of the Prison, Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Fuchs, Christian (2023): Digital capitalism. Labour, alienation and ideology in the information age. Weinheim and Basel: Beltz Juventa.
Habermas, Jürgen (2022): A new structural change of the public sphere and deliberative politics, Berlin: Suhrkamp.
Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1988): Dialectic of Enlightenment. Philosophical Fragments, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kant, Immanuel (1998a): Kritik der reinen Vernunft, in: Weischedel, Wilhelm (ed.): Immanuel Kant. Works in Six Volumes, Volume II, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Kuhlen, Rainer (1995): Informationsmarkt - Chancen und Risiken der Kommerzialisierung von Wissen, Konstanz: Universitätsverlag Konstanz.
Marx, Karl (1968): Das Kapital. Volume 1, MEW 23, Berlin: Dietz.Nymoen, Ole/Schmitt Wolfgang M. (2021): Influencer. The Ideology of the Advertising Body, Berlin: Suhrkamp.
Niesyto, Horst (2017): Media education and digital capitalism. In favour of strengthening a socio-critical and media-critical perspective, in: MedienPädagogik 27, 1-29. https://doi.org/10.21240/mpaed/27/2017.01.13.X
Pfeiffer, Sabine (2021): Digitalisierung als Distributivkraft, Bielefeld: transciot, online at: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5422-6/digitalisierung-als-distributivkraft/?number=978-3-8394-5422-0 (last accessed: 10.06.2025).
Staab, Philipp (2019): Digital capitalism. Market and Rule in the Economy of Scarcity. Berlin: Suhrkamp.
Werthner, Hannes/Lee, Edward A./Akkermans, Hans/Vardi, Moshe et al. (2019): Vienna Manifesto for Digital Humanism. online at: https://www.informatik.tuwien.ac.at/dighum/wp-content/uploads/2019/07/Vienna_Manifesto_on_Digital_Humanism_DE.pdf (last accessed: 20/08/2023).
Zuboff, Shoshana (2018): The Age of Surveillance Capitalism, Frankfurt/New York: Campus.
Submission of articles
Please submit your articles on our homepage via the editorial system using the following link:
nals.univie.ac.at/index.php/mp/about/submissions
Length of articles in the Focus section: 20,000-45,000 characters. If your article is to undergo a peer review process, please submit it by 15 November 2025. Contributions without peer review can be submitted until 21 November 2025. The publication date of this issue is 21 December 2025.
In addition to the thematic focus, contributions can be submitted for all sections of MEDIENIMPULSE. Contributions that have undergone a peer review process will be identified by a separate note.
We look forward to receiving your submissions and will of course be happy to answer any questions you may have!
- Editorial deadline: 15 November 2025
- Publication date: 21 December 2025