Welches Österreich steckt in der OeZG?

2021-03-03

Ellinor Forster

Österreich sei der Ort, von dem aus die OeZG gedacht und gemacht werde, schreibt Johanna Gehmacher in ihrem Blogbeitrag, um in der Folge den transnationalen Anspruch der Hefte auszuloten. Aber sei es nun als Referenzpunkt für grenzüberschreitende Betrachtungen oder als Rahmen für Forschungen innerhalb „österreichischer“ Grenzen – welcher Raum war damit gemeint, wenn in den Beiträgen „Österreich“ als territorialer Bezug bemüht wurde? Mit Blick auf das 20. Jahrhundert mag die Gleichsetzung mit der Republik naheliegen und – abgesehen von den Jahren 1938 bis 1945 – vielleicht keine weitere Reflexion erfordern. Doch die OeZG wollte sich von Anfang an nicht auf die Zeitgeschichte beschränken, sondern – wie im Editorial der ersten Ausgabe 1990 formuliert – durch die Zusammenstellung eines „Herausgebergremiums“ aus Zeitgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Geistesgeschichte, vergleichender Landesgeschichte, Geschichte der Frühneuzeit, österreichischer Geschichte sowie Mediävistik und Geschichtsphilosophie die wechselseitige Anregung und Kritik über Epochengrenzen und geschichtswissenschaftliche Perspektiven gewährleisten. Damit stellt sich die Frage, ob sich die Veränderungen der Blickrichtungen auf die Räume der österreichischen Geschichte, wie sie Arno Strohmeyer 2008 beschrieben hat, auch in den Beiträgen und Heften der OeZG spiegeln.

Während sich das Heft „Österreich im Kopf“ (1/1995) zwar in den Kontext der anstehenden Jubiläen – 40 Jahre Staatsvertrag und 1000 Jahre Ostarrichi-Urkunde – stellte, bezogen sich die Beiträge noch wenig auf den Umgang mit der Zeit vor 1918. Dies findet sich jedoch ausführlich in Gernot Heiss’ Beitrag über die „Historiker als Konstrukteure Österreichs“ im Heft „Welches Österreich“ (4/1996). Nach einem kurzen Blick auf die historiografische Vereinnahmung von „Österreich“ im 19. Jahrhundert betrachtet Heiss eingehend die wechselvolle Instrumentalisierung des Österreich-Begriffs im 20. Jahrhundert. Die Historiker der Ersten Republik und der NS-Zeit betonten die gemeinsamen Wurzeln mit den anderen deutschen Ländern, während nach 1945 die österreichische Geschichte innerhalb der Grenzen der Zweiten Republik erforscht werden sollte – ganz auf der Linie des sich von Deutschland abgrenzenden neuen Österreich-Bewusstseins.

Stellte dieser kritische Blick von Heiss nur eine Momentaufnahme dar oder machte sich eine veränderte Bezugnahme auf den Raum „Österreich“ ab der Mitte der 1990er-Jahre in historischen Untersuchungen auf breiterer Ebene bemerkbar? Wieder mit Blick auf die OeZG lässt sich das nur bedingt feststellen. Ähnlich wie zuvor – etwa in der vergleichenden Entwicklung der Technikgeschichte in Deutschland und Österreich (3/1992) – unterließen es die Bände und Beiträge zumeist auch danach, das „Österreich“, auf das sie zurückblickten, genauer zu bestimmen. Häufig zentrierte sich das behandelte Geschehen um den Raum Wien. Untersuchungen zur Frühen Neuzeit verorteten ihren Forschungsgegenstand oft entweder lokal – beispielsweise der Beitrag zu den „Wiener Niederlegern um 1700“ im Heft 1/2015 – oder spezifizierten das im Titel angeführte Attribut „österreichisch“ im Text dann als deutsche Erblande, wie etwa in der Untersuchung zu den Waisenhäusern in der Ausgabe 1-2/2014. Entsprechend der Erweiterung nach Osten – wie sie Oliver Kühschelm und Claudia Kraft in ihren Blogbeiträgen beschreiben – richtete sich der Blick der österreichischen Geschichte auch auf die östlichen Länder der Habsburgermonarchie, um dabei allerdings vorerst zu verharren. Das 200-jährige Gedenken an die Aufhebung des Heiligen Römischen Reichs im Jahr 1806 fand im Band „Räume der Geschichte“ (1/2006) überhaupt keinen Niederschlag. Stattdessen wurde die österreichische Erinnerungskultur rund um den Jahrestag des Staatsvertrags von 1955 thematisiert. Dies mag nun zum einen dem deutlichen Gewicht des 20. Jahrhunderts in der OeZG geschuldet sein, zum anderen stellt sich jedoch die Frage, wie weit implizit – trotz zwischenzeitlicher Reflektionen – immer noch die Engführungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachwirken. Über die Grenzen von „Österreich“ hinausgegangen sind die Untersuchungen längst, etwa schon in ersten Überlegungen im Heft „Revisionen“ (1/1993) in Richtung Europa und sehr viel stärker noch mit Blick auf globale Verflechtungsgeschichte, beispielsweise in den jüngsten Heften zu den Migrationswegen (1/2020) oder „Inneren Peripherien – Räumlichen Hierarchien“ (2/2020). Aber es bleibt immer noch spannend zu überlegen, welches Verständnis von „Österreich“ sich hinter der gewählten Bezugsgröße verbirgt.