Rezension: "Vernehmungsraum. Aufzeichnungen einer Vermissten" von Jennifer Kwon Dobbs, übersetzt von Irina Bondas und Felix Schiller
DOI:
https://doi.org/10.21243/mi-04-23-01Schlagworte:
Gegenwartsliteratur/Lyrik, Geschichte 20. Jahrhundert/literarische Darstellung, Mehrsprachigkeit, Identität, Diskriminierung/literarische DarstellungAbstract
In ihrem beeindruckenden lyrischen Werk verwebt Jennifer Kwon Dobbs (geb. 1976 in Wonju, Südkorea) koloniale Vergangenheit mit gegenwärtigen Diskriminierungserfahrungen und kollektive Erfahrungen mit individuellen Erlebnissen. Das lyrische Ich begibt sich auf die Suche nach der Mutter und der Muttersprache Koreanisch, erinnert sich an eine Kindheit zwischen Kulturen und schlägt Brücken über die Grenze eines geteilten Landes, zwischen der Generation seiner Großeltern und sich selbst. Die heterogenen lyrischen Texte arbeiten mit Leerstellen, Auslassungen, Schwärzungen, Fotografien und Briefen und verdichten sich Gedicht für Gedicht zu einer Abbildung historischer Ereignisse wie des Koreakriegs und des Kalten Kriegs, sowie zu einer Erforschung der Nachwirkungen der Kolonialisierung Koreas, die heute oftmals totgeschwiegen werden. Gleichzeitig thematisiert Dobbs‘ Werk ein Aufwachsen in den USA, Aspekte von Migration, Identität, Herkunft und Mehrsprachigkeit sowie den Akt des Übersetzens. Die präzise, sparsame Sprache der Autorin, die sich mit großer erzählerischer Feinfühligkeit verbindet, wendet sich gegen autoritäre Systeme jeder Art und gegen das Schweigen über vergangene Verbrechen. Dobbs Vernehmungsraum ist somit ein höchst aktuelles Werk, das zwingt, sich mit dem Erbe kolonialen Grauens auseinanderzusetzen und sich so dem Vergessen entgegenstellt.
Literaturhinweise
Verlag: PalmArtPress
Erscheinungsort: Berlin
Erscheinungsjahr: 2022
ISBN: 978-3-96258-115-2
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